Schumann • R. Strauss
Melodramas
CAvi-music 8553204
1 CD • 61min • 2018
18.03.2022
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Der Ausnahmepianist – und allseits geschätzte Kammermusikpartner – Lars Vogt präsentiert in seiner neuesten Einspielung Melodramen als Sonderform romantischen Musizierens für Sprechstimme und Klavier von Robert Schumann (2 Balladen op. 122 auf Texte von Ludwig Uhland und Percy Bysshe Shelley) und Richard Strauss (Enoch Arden op. 38 auf ein Versepos von Alfred Lord Tennyson). „Angestiftet“ wurde er hierzu von seiner jungen, schauspielerisch talentierten Tochter Isabelle, die zum Zeitpunkt dieser Live-Aufnahmen zwischen 16 und 18 Jahren zählte.
Sprechen statt Singen
Die Verbindung von Sprache und Instrumentalmusik, die sich lange zuvor – quasi natürlich – bei Theateraufführungen ergeben hatte, erhielt durch die ungemein dramatische Wirkung der Kerkerszene in Beethovens Fidelio sowie später in Egmont und König Stephan eine erhöhte Aufmerksamkeit. Carl Maria von Weber nutzte sie für die Schauerromantik der Wolfsschlucht im Freischütz, Hector Berlioz personalisierte mit „Lélio“ den imaginären Helden seiner Sinfonie fantastique. So war es wenig verwunderlich, dass Robert Schumann und auch Franz Liszt (Lenore, Der traurige Mönch) die Kammerform mit Klavierbegleitung zur Darstellung des Unheimlichen pflegten. Arnold Schönberg formte das Melodram dann in Erwartung und Pierrot lunaire zum Sprechgesang um, der wiederum Alban Berg in Wozzeck und Lulu in eine zusätzliche Ausdrucksmöglichkeit für Sänger verschaffte.
Deklamatorischer Heroismus
Richard Strauss dürfte mit seinem Enoch Arden den mit einer knappen Stunde wohl längsten Gattungsbeitrag geliefert haben. Er entstand als Dank für die Förderung durch den Generaldirektor der Kgl. Bayerischen Hoftheater, Ernst von Possart, und wurde von beiden Künstlern auf mehreren Konzerttourneen mit großem Erfolg aufgeführt. Bemerkenswert, dass der Komponist sich hier eher an Schumann oder Liszt orientiert und sich harmonisch weit zahmer als beispielsweise im Don Quixote op. 35 gibt. Wie Possart Texte zu interpretieren pflegte, zeigt seine Aufnahme von Schillers Bürgschaft (ca.1914). Als Charakterdarsteller verfügte er unter Wahrung einer klangvollen, immer tragenden und makellosen Diktion über ein Kaleidoskop an Stimmfarben, die er entsprechend einzusetzen wusste. Hört man sich Rezitationen seiner Zeitgenossen Josef Kainz und Alexander Moissi (Erlkönig!) im Internet an, fällt auf, dass sich die Stimmgebung um 1900 wesentlich stärker am Sängerischen orientierte. Durch das bewusste Rollen des „R“, die exzessive Vokalisierung stimmhafter Konsonanten und den gezielten Einsatz unterschiedlicher Stimmregistermischungen mit quasi sängerischen Resonanzwirkungen wirkt diese Sprechweise heute übertrieben. Sie war jedoch nötig, um bis in die oberen Ränge überhaupt verstanden zu werden. Ein Interpretationsmodell liefert die Aufnahme des Hexenliedes von Max von Schillings mit Ludwig Wüllner (1930), der zudem als gefragter Tenor einen beachtlichen Tannhäuser sang. Im Sinne einer historischen Aufführungspraxis bedeutet dies, dass für Melodramen eher die Rollenfächer der Heroine, Salondame und des Helden-(Vaters) als die der Jugendlich-Sentimentalen oder des Jugendlichen-Liebhabers in Frage kommen.
Despina gibt Isolde
Isabelle Vogt verfügt mit einer noch unvollkommen gefestigten Mädchenstimme nicht über das stimmliche Fundament für die Interpretation dieser durchaus komplexen Werke. Dafür bedarf es zumindest eines sonoren Mezzos oder Alts, dem man über die Länge eines Enoch Arden allein wegen des sinnlich-schönen Stimmklangs gern lauschen mag. Tennysons durchaus vertrackter Blankvers mit unzähligen Enjambements verlangt einerseits die distanzierte Farbe des „allwissenden Erzählers“, andererseits klare Abstufungen in der direkten Rede von der Kinderstimme zu Beginn bis zum Brechen des dahinscheidenden Enoch. Grundvoraussetzung ist zudem, dass man jedes Wort deutlich versteht. Vater Lars entlockt dem Flügel mannigfaltige Farben und reagiert als gewiefter Kammermusiker blitzschnell auf die unterschiedlichen Stimmungen der Dichtungen.
Die Aufnahmetechnik geht soweit in Ordnung. Dass man den langen Enoch Arden nur per Weblink anbietet ebenfalls. Die beiden Schumann-Texte hätte man jedoch gern abdrucken können.
Fazit: Ein nettes Vater-Tochter-Projekt, das jedoch viel zu früh kommt und daher eine CD-Produktion nicht zwingend erfordert hätte. Wer sich mit den Werken auseinandersetzen will, sollte zu den Aufnahmen mit Dietrich Fischer-Dieskau greifen, der das erforderliche sängerische Element des Sprechens perfekt beherrscht. Wer Tennyson im Original vorzieht, greife zu Claude Rains und Glenn Gould.
Vergleichsaufnahmen: Dietrich Fischer-Dieskau, Burkhard Kehring DG – Claude Rains, Glenn Gould CBS.
Thomas Baack [18.03.2022]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
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CD/SACD 1 | ||
Robert Schumann | ||
1 | Ballade vom Haideknaben op. 122 Nr. 1 | 00:05:09 |
2 | Die Flüchtlinge op. 122 Nr. 2 | 00:02:58 |
Richard Strauss | ||
3 | Enoch Arden op. 38 für Pianoforte und Rezitation (Meldoram) | 00:53:16 |
Interpreten der Einspielung
- Isabelle Vogt (Rezitation)
- Lars Vogt (Klavier)