In search of new paths
Beethoven Piano Sonatas Nos. 8 - 18
CAvi-music 8553391
3 CD • 3h 53min • 2017, 2016, 2014
20.02.2022
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Klassik Heute
Empfehlung
Fast zwei Wochen hab‘ ich mit dieser Dreifach-CD voller Beethoven-Klaviersonaten gelebt, sie in meinem Hirn weiterlaufenlassen und immer wieder mit anderen Aufnahmen verglichen, mit denen von Glenn Gould, Alfred Brendel, Svjatoslav Richter, Friedrich Gulda und Michael Korstick. Ergebnis: Tobias Koch kann nicht nur leicht neben diesen Beethoven-Koryphäen bestehen, in mein Hirn hat er sich hineingespielt und dort seinen Platz behauptet. Wenn ich könnte, würde ich dieser Aufnahme die doppelte aller möglichen Punktzahlen geben.
Das geht ins Blut
Beginnen wir ausnahmsweise mit der Klangqualität: Wie der Tonmeister es gemacht hat, weiß ich nicht, jedenfalls glaubt man als Hörer vor dem Fortepiano zu sitzen, genau an der Stelle, wo Tobias Koch sitzt. Man hört manchmal sein leichtes Atmen, das Klappern der Fingernägel auf den Tasten, spürt seine geistige Anspannung und hört die sanften Publikumsgeräusche von hinten, hört, wie es laut den Atem anhält, wie es „mitarbeitet“ – das Publikum, das an drei verschiedenen Tagen verschiedener Jahre bei den Bad Krozinger Schlosskonzerten saß: Mehr Unmittelbarkeit geht nicht. Das gibt Spannung pur, Lebendigkeit und Gegenwärtigkeit. Das geht ins Blut.
Rhythmus, Artikulation und Farbe
Tobias Koch spielt elf Sonaten (Nr. 8 – 18) auf drei verschiedenen Fortepiani aus dem Wien der Beethovenzeit. Und dieses Spiel auf dem Fortepiano heißt für Tobias Koch: Rhythmus, Artikulation und Farbe. Im Booklet erklärt Koch, er wollte auf der Suche nach einem wie immer gearteten Originalklang zurückgehen auf Carl Philip Emanuel Bach, dessen „Versuch über die wahre Art Clavier zu spielen“ auch noch für Beethoven maßgebend gewesen sei. Gefunden hat er eine „neue Vielfalt an …Kleinst-Differenzierungen, unerwartet impulsiver Deklamation, Zäsuren, Pausen.“ Das hört man. Koch arpeggiert gerne an ausgewählten Stellen die Akkorde, gibt ihnen damit einen Dramatisierungsschub, verziert selbständig und damit eigenwillig mit Pralltrillern und Füllungsachteln und erreicht dadurch eine ungemein lebendige, immer innerlich erregte, manchmal aufgeregte, aber immer anregende Deklamation, immer voller pointiertem Elan: Jeder Ton bebt vor Lebendigkeit.
Besondere Aufmerksamkeit wendet Koch der linken Hand, dem Bassregister, zu: Die Klangspreizung, die Kontrastwirkung zwischen Bass und Diskant, ist beim Fortepiano größer. Das nützt Koch weidlich aus. Nie hört man die Bass-Sforzati wuchtiger, dröhnender als hier, ob in der Sonate Nr. 9 oder am Ende der Mondscheinsonate, wo der punktierte Lamento-Bass wie eine Totenglocke klingt, oder wie in der Sonate Nr. 15, in der Koch den pochenden D-Orgelpunkt fast manisch hervorhebt und im Rondo dieses D richtig schnarren lässt. Eine vergnügte überfallartige Überraschung bietet Koch im Scherzo der Sonate Nr. 18, wenn im Trio die zwei Fortissimo-Schläge, die das Seitenthema einführen, urplötzlich mit Klingelschlag losrummsen: Der Beethoven’sche Schabernack wird hier auf die Überraschungsspitze getrieben. In derselben Sonate herrscht aber im Kopfsatz espritvoll-perlender, aber mit Nachdenklichkeit gemischter Witz, wobei der hellklirrende Klang des Fortepianos bestens zu dieser Staccato-Etüde passt.
Meist bedachtsame Tempi
Koch wählt meist bedachtsame und achtsame Tempi, so dass er eben sorgfältigst artikulieren kann – nur eben im Presto con fuoco der Sonate Nr. 18 jagt er plötzlich los, ist zwar mit 4:49 nicht so schnell wie beispielsweise Richter (4:03), aber immerhin jagender als Brendel (4:57), dem er sonst meist in der Tempo-Wahl ähnelt. Nie verfällt er in ungezügeltes, hemmungsloses Rasen – auch dann nicht, wenn es möglich, erlaubt, ja vielleicht sogar geboten ist. Aber ausgerechnet den Kopfsatz der Mondscheinsonate nimmt er rasch (3:09), sogar doppelt so rasch wie Brendel (6:01): Er nimmt das vorgeschriebene Alla breve beim Wort und macht diesen angeblichen Mondgesang zu einem – eben auch möglichen – Totengesang, einer „Preghiera“. Und dann hämmert er im jagenden Schlusssatz wieder die Tonrepetitionen ins Zuhörerhirn!
Romantisch verhangene Klänge
Besonders aber erstaunt, welche fast schon „romantischen“ Klangmöglichkeiten er auf den Fortepiani zaubert. Das Adagio cantabile der Pathétique ist wie eine Abendserenade auf der Mandoline, so sanft angeschlagen wie gezupft – bis ab Takt 50 plötzlich die Saite schnarrt, als ob er was draufgelegt hätte: Beethoven, der Kauz? Die Sonate Nr. 10 beginnt duftig und zart wie ein zärtliches Parlando, im darauffolgenden Andante schnarrt das Bassregister fröhlich, bis urplötzlich mittels raffinierter Pedalisierung ein zauberhaft verhangener Klangstaub durch die Luft zittert und im Schluss-Scherzo die „heiter-bewegte Geschäftigkeit“ (so Robert Schumann) urplötzlich ins Dunkel-Verhangene abdriftet. Auch in den Variationen des Anfangssatzes der Sonate Nr. 12 versteht es Tobias Koch, ständig – fast wie ein Registerwechsel auf der Orgel – die Klangfarben zu wechseln: Selten sind Beethovens Kauzigkeit, Phantasie und abrupter Gefühlswechsel besser dar- bzw. vorgestellt.
Als Einzelbeispiel für Kochs Interpretations- und Anschlagskunst sei die Sonate Nr. 11 gewählt: Wieder nimmt er sich Zeit für dieses „männliche Meisterstück“ (so Joachim Kaiser), legt die Struktur frei, zeigt, wie das Anfangsmotiv sich kreiselnd entfaltet und dann dominant wird, zeigt auch immer, dass dies kein reines „Spielstück“ ist, sondern dass es immer ums Ganze geht, dass es uns als Hörer angeht – und wieder überwältigt die Kraftentfaltung in der linken Hand, die tiefdunklen Basstöne bohren und drohen, schließlich hämmern Fortissimo-Akkorde wie Donnerschläge: Es ist die von Joachim Kaiser formulierte „Faszination körniger Klarheit“, die da herrscht. Das Adagio con molto espressione folgt dann in der Weichheit, die dem Fortepiano noch möglich ist, winzige bedeutsame rhythmische Verzögerungen geben den gleichförmigen Begleit-Achtelakkorde dramatisches Eigengewicht, Arpeggien vertiefen den Ernst und lassen schon den Chopin’schen singenden Klangzauber vorausahnen: Immer weiß Tobias Koch genau, was er will und immer sind wir Hörer tief beglückt. Das sind wahre Aufnahmen für die Insel.
Rainer W. Janka [20.02.2022]
Anzeige
Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Ludwig van Beethoven | ||
1 | Klaviersonate Nr. 8 c-Moll op. 13 (Pathétique) | 00:21:00 |
4 | Klaviersonate Nr. 9 Es-Dur op. 14 Nr. 1 | 00:14:39 |
7 | Klaviersonate Nr. 10 G-Dur op. 14 Nr. 2 | 00:17:09 |
10 | Klaviersonate Nr. 11 B-Dur op. 22 | 00:27:17 |
CD/SACD 2 | ||
1 | Klaviersonate Nr. 12 As-Dur op. 26 | 00:20:28 |
5 | Klaviersonate Nr. 13 Es-Dur op. 27 Nr. 1 (Quasi una fantasia) | 00:17:50 |
9 | Klaviersonate Nr. 14 cis-Moll op. 27 Nr. 2 (Mondscheinsonate) | 00:13:35 |
12 | Klaviersonate Nr. 15 D-Dur op. 28 (Pastorale) | 00:24:50 |
Interpreten der Einspielung
- Tobias Koch (Klavier)