Johann Sebastian Bach
Partitas BWV 825-830
CAvi-music 8553491
2 CD • 2h 22min • 2019
04.02.2022
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Klassik Heute
Empfehlung
Schaghajegh Nosrati, Bochumerin mit iranischen Wurzeln, übertrifft mit ihrer Einspielung der sechs Partiten von J. S. Bach die aktuelle Konkurrenz, indem sie – die durchaus Alkan zu „donnern“ versteht – den Klang des großen Steinway auf Hammerflügelformat zurücknimmt, fein artikuliert und im Sinne der historisch informierten Aufführungspraxis die Wiederholungen subtil variiert.
Wer muss hier was üben?
J. S. Bach veröffentlichte sein op. 1 zunächst ab 1725 in Einzellieferungen und bot es ab 1731 unter dem Titel „Clavierübung“ als Sixpack zum Verkauf an. Standardmäßig – so u.a. von F. Couperin, Rameau und Händel – wurden damals Suitensammlungen als „Pièces de Clavecin“ veröffentlicht. Bach schloss sich wohl bewusst der Tradition seines Amtsvorgängers Johann Kuhnau (1689), Chr. Graupners (1718) und V. Lübecks (1728) an und wählte die deutsche Bezeichnung Clavierübung. Ebenso wie die beiden Erstgenannten bezeichnete er die einzelnen Satzfolgen als Partita. Dieser Terminus für die Suite wurde von Froberger eingeführt und kann sowohl eine Folge von Tanzsätzen als auch einen Variationszyklus bezeichnen. Buxtehude trieb das Prinzip auf die Spitze, indem er den Choral „Auf meinen lieben Gott“ nacheinander als Allemande, Courante, Sarabande und Gigue variierte.
Apotheose des Tanzes als Goûts reunis
Man kann die Partiten (einschließlich der erst im zweiten Teil publizierten, aber wohl ursprünglich dem op. 1 zugedachten h-Moll-Ouvertüre) als Bachs letztes Wort zum Thema Claviersuite in Form eines „Kunstbuchs“ ansehen, das alle Möglichkeiten und Stile dieses Genres auslotet. Andere Komponisten hätten für die Vorspiele entweder zu Klangflächenpräludien oder Ouvertüren gegriffen und die Einzelwerke nach Tonarten aufsteigend angeordnet. Bach jedoch wählte für die Anordnung mit B-c-a-D-G- e eine auseinanderstrebende Intervallfolge. Man kann darüber spekulieren, ob nicht ursprünglich ein Vierer- oder gar Siebenerzyklus (B-a-c-h-e(s)=S-D-G) intendiert war. Die Vorspiele bestreiten zwei Inventionen (B-Dur à 3, a-Moll à 2 Stimmen) und je ein(e) italienische Opern-Sinfonia (c-Moll), französische Ouvertüre (D-Dur), Klangflächenpräludium (G-Dur), dreiteilige Toccata (e-Moll).
Mit seinem Opus 1 bewies Bach jedenfalls, dass er ein schlechter Geschäftsmann war: Erstens bewegt sich keine der Suiten in ihrer Gesamtheit im für reine Liebhaber erreichbaren Schwierigkeitsgrad – die fugierten Giguen sind anspruchsvoller als Vieles im Wohltemperierten Clavier. Zweitens wird zur Ausführung mindestens ein bundfreies Clavichord mit 4 ½ Oktaven Umfang oder ein Cembalo mit Ravalement bis GG, der Übergang zu den damaligen Luxusinstrumenten benötigt. Drittens verwirrten die vielen ausgeschriebenen Verzierungen bereits Zeitgenossen wie den späteren dänischen Hofkapellmeister J. A. Scheibe. Ähnlich wie bei den Englischen Suiten entschied sich Bach, das düsterste Stück an den Schluss zu setzen und dieses mit seiner wohl kontrapunktisch kniffligsten Gigue zu krönen. Wie auch die dreiteilig Einleitungstoccata kann diese Gigue als Verneigung vor dem verehrten Froberger aufgefasst werden, der diese Form der „Allemande giguée“ pflegte. Sie steht im ungewöhnlichen 4/2-Takt. Die Notation der Takt-Vorzeichnung als Kreis legt eine „inegale“, triolisierte Ausführung nahe, sodass diese Notation dann wiederum zu einem 24/8-Takt umgedeutet werden kann. Damit dürften die „Liebhaber von Galanteriewaren“ als Interpreten ausscheiden. Kuriosum: Die italienische Giga der B-Dur-Suite (1725) dürfte das erste gedruckte Stück mit Überkreuzen der Hände sein – Rameaus Les trois mains erschien 1727, die Esercizii von D. Scarlatti erst 1739.
Feinziselierte Interpretation
Schaghajegh Nosrati erweist sich mit ihrer Einspielung der 6 Partiten als ungemein wache, reaktionsschnelle Interpretin. Sie demonstriert, dass sich höchste Virtuosität hinter der präzisesten Ausführung von Ornamenten, einer flexiblen Phrasierung , der transparenten Darstellung kontrapunktischer Abläufe und einer abwechslungsreich-farbigen – jedoch immer sinnerfüllten – Artikulation zu verbergen vermag. Die Tempi sind niemals überhetzt, sodass sich die den Werken innewohnende Kantabilität wundervoll entfaltet. Sie kann es sich aufgrund dieser Tugenden erlauben, die dynamischen Kontraste auf die Möglichkeiten eines Silbermannschen Hammerflügels zu reduzieren, ohne dass dabei die Deutlichkeit der Klangrede verloren ginge. Zudem gönnt sie sich das eine oder andere Zusatzornament und setzt bei Wiederholungen französisch beeinflusster Sätze eine dezente Inégalité ein. Damit schafft sie es sogar, die meisten Cembalisten zu übertreffen. Einzig Masaaki Suzuki und Mahan Esfahani erreichen dieses Niveau. Die zum Vergleich herangezogenen neueren Klavier-Aufnahmen (Angela Hewitt, Igor Levit) wirken dagegen eher plump und historisch uninformiert. Allerdings könnte Schaghajegh Nosrati die im Entstehen begriffene Aufnahme von Ewgeni Koroliov, die bei identischer Präzision mit mehr Klangfarben und einer tiefergehenden Emotionalität aufwartet, den Thron der Klavier-Referenz bald streitig machen.
Der schlanke Klavierklang wurde sehr natürlich ohne Härte eingefangen. Dem Booklet-Kommentar mangelt es ein wenig an Substanz.
Fazit: Eine ungemein präzise, höchst souveräne Aufnahme von Bachs op.1, die manchem vielleicht zu intellektuell unterkühlt vorkommen mag, da sie sich aufgesetzter Gefühligkeit enthält, mich jedoch mit ihrer clarté besticht. Klare Empfehlung.
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Vergleichsaufnahmen: Angela Hewitt (Hyperion), Igor Levit (Sony), Mahan Esfahani (Hyperion), Masaaki Suzuki (BIS).
Thomas Baack [04.02.2022]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
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CD/SACD 1 | ||
Johann Sebastian Bach | ||
1 | Partita Nr. 4 D-Dur BWV 828 | 00:32:54 |
8 | Partita Nr. 3 a-Moll BWV 827 | 00:18:37 |
15 | Partita Nr. 1 B-Dur BWV 825 | 00:18:29 |
CD/SACD 2 | ||
1 | Partita Nr. 2 c-Moll BWV 826 | 00:20:03 |
7 | Partita Nr. 5 G-Dur BWV 829 | 00:20:56 |
14 | Partita Nr. 6 e-Moll BWV 830 | 00:30:56 |
Interpreten der Einspielung
- Schaghajegh Nosrati (Klavier)