Fin de Siècle
Berg Mahler Webern Zemlinsky
MDG 903 2225-6
1 CD/SACD stereo/surround • 76min • 2021
10.01.2022
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Das niederländische Chimaera Trio, eine Klarinettentrio-Formation, widmet sich auf seinem Album Fin de Siècle der Wiener Musik des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Die kluge Zusammenstellung des Programms verdient Lob. Zum einen bietet es einen Überblick über verschiedene Stilrichtungen, die im damaligen Wien nebeneinander existierten, zum andern ist es in rein klanglicher Hinsicht sehr abwechslungsreich, da Kompositionen unterschiedlicher Besetzung zu hören sind.
Gelungene Mahler-Bearbeitungen
Gustav Mahler ist gewissermaßen das A und O der CD, denn das Trio beginnt und schließt seine Vortragsfolge mit Transkriptionen Mahlerscher Lieder, die der Pianist des Ensembles, Laurens de Man, eigens angefertigt hat. Die Auswahl ist gut getroffen, hören wir doch Mahler in verschiedenen Stadien seiner Entwicklung: Ablösung im Sommer gehört zu den ganz frühen Liedern, Ich bin der Welt abhanden gekommen zu den relativ späten Rückert-Liedern; zeitlich dazwischen stehen die Lieder eines fahrenden Gesellen und das (auch als Teil der Zweiten Symphonie bekannt gewordene) Urlicht. Laurens de Man hat die Musik aller dieser Lieder sehr geschickt auf die drei Instrumente verteilt. Klarinette und Violoncello teilen sich in der Regel die Gesangsstimme, wobei das jeweils nicht melodieführende Instrument eine charakteristische Begleitstimme spielt oder die Klavierbegleitung klangfarblich verstärkt. Für Kammerkonzerte sind diese Bearbeitungen ein echter Gewinn!
Zwischen Mahlers Liedern erklingen Originalkompositionen seiner jüngeren Zeitgenossen Alexander Zemlinsky, Anton von Webern und Alban Berg. Mit einer knapp halbstündigen Spieldauer kann Zemlinskys Trio, für das sich einst Brahms einsetzte, als Hauptwerk des Programms gelten. In den Stücken Bergs und Weberns teilt sich das Ensemble auf: Laurens de Man spielt ein frühes, noch ganz romantisches Impromptu in E-Dur von Berg, und begleitet die Cellistin Irene Kok in zwei ebenso frühen, ebenso noch funktionsharmonisch bestimmten langsamen Sätzen Weberns. Dazwischen, genau in der Mitte der Vortragsfolge, spielen de Man und die Klarinettistin Annemiek de Bruin das einzige Werk, das schon „luft von anderem planeten“ fühlt: Bergs Vier Stücke op. 5.
Wünsche bleiben offen
Die Mitglieder des Chimera Trios agieren gut aufeinander abgestimmt. Klarinette und Violoncello befinden sich in den Trio-Stücken in ausgeglichenem Verhältnis. Aufnahmetechnisch ist das Klavier ein wenig in den Hintergrund gerückt, sodass dessen tiefere Register in dicht gesetzten Abschnitten (namentlich bei Zemlinsky) nicht so deutlich hervortreten, wie es wünschenswert wäre. Den Aufführungen kann man insgesamt ein solides Niveau attestieren, wobei den Musikern die Mahler-Lieder am besten gelingen. Wahrscheinlich hat ihnen die Kenntnis der vokalen Originale den Sinn für ein gesangliches Musizieren geschärft. In den originalen Instrumentalstücken zeigt sich ein solcher weit weniger. Generell fällt auf, dass das Trio zwar die Phrasierungsvorschriften im Kleinen
wie vorgeschrieben beachtet, der Periodenbau im Großen aber kaum deutlich wird. Dass der langsame Satz des Zemlinsky-Trios von einer sachten Walzerbewegung in Gang gehalten wird, kommt in dieser Aufnahme schlicht nicht zum Tragen, er wirkt zäh und orientierungslos. Das ruhigere Nebenthema des Finales bleibt blass, da es nur als Abfolge von Viertelnoten im Zweivierteltakt, nicht als großer Melodiebogen, gespielt wird. In den lebhaften Abschnitten der Ecksätze fällt diese Schwäche weniger auf, doch auch hier lässt die Fixierung auf kurze Phrasen Sequenzen mechanisch wirken und verhindert eine optimale Entfaltung der kontrapunktischen Linienführung. Christoph Zimper, Florian Eggner und Peter Ovtcharov sind in ihrer nur etwas früher bei Gramola erschienenen Aufnahme wesentlich tiefer in die Feinheiten dieses Werkes eingedrungen.
Den guten Ideen zum Trotz, die dieser CD zugrunde liegen, bleiben letztlich leider in musikalischer Hinsicht Wünsche offen.
Norbert Florian Schuck [10.01.2022]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Gustav Mahler | ||
1 | Ablösung im Sommer (aus: Des Knaben Wunderhorn) | 00:01:42 |
2 | Ich bin der Welt abhanden gekommen (F. Rückert) | 00:06:46 |
Alexander Zemlinsky | ||
3 | Klaviertrio d-Moll op. 3 | 00:27:27 |
Alban Berg | ||
6 | Impromptu E-Dur für Klavier | 00:04:15 |
7 | Vier Stücke op. 5 für Klarinette und Klavier | 00:08:11 |
Anton Webern | ||
11 | Zwei Stücke für Violoncello und Klavier | 00:04:49 |
Gustav Mahler | ||
13 | Wenn mein Schatz Hochzeit macht (aus: Lieder eines fahrenden Gesellen) | 00:04:13 |
14 | Ging heut' morgen übers Feld (aus: Lieder eines fahrenden Gesellen) | 00:04:03 |
15 | Ich hab' ein glühend Messer (aus: Lieder eines fahrenden Gesellen) | 00:03:33 |
16 | Die zwei blauen Augen (aus: Lieder eines fahrenden Gesellen) | 00:05:48 |
17 | Urlicht (2. Sinfonie, 4. Satz) | 00:05:28 |
Interpreten der Einspielung
- Chimaera Trio (Trio)