Franz Schubert
Winterreise
BIS 2410
1 CD/SACD stereo/surround • 72min • 2018
27.11.2021
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Seit vielen Jahren ist der englische Bassbariton James Rutherford als Wagnersänger, vor allem als Hans Sachs und Wotan, international unterwegs, aber er hat in dieser Zeit seine Beschäftigung mit dem Kunstlied nicht vernachlässigt. Und man kann sagen, dass aus den Erfahrungen des Liedgesanges seine heldischen Opernfiguren viel profitiert haben, wie auch umgekehrt die dramatische Präsenz des Bühnensängers der intimeren Gattung des Liedes sehr zugute kommt. Bei der unlängst publizierten Walküre aus Duisburg habe ich auf dieser Seite insbesondere seine Gestaltung von Wotans Abschiedsgesang rühmend hervorgehoben. Hier erlebe ich ihn nun zum ersten Mal mit einem reinen Liedprogramm, bei dem ihm der amerikanische Pianist Eugene Asti, mit dem er offenbar gut eingespielt ist, als Begleiter zur Seite steht.
In vieler Hinsicht vorbildlich
Vor sechs Jahren haben Rutherford und Asti bereits Schuberts nachträglich als Schwanengesang bezeichneten Zyklus beim selben Label (BIS) aufgenommen und mein Kollege Clemens Höslinger hat dieser Einspielung bei Klassik heute die höchsten Bewertungen zuerkannt (18.5.2016). Die von ihm genannten Primärtugenden des Sängers (stimmliche Flexibilität, Pianokultur, tiefes Eindringen in die Werke ohne Tüftelei) sind auch seiner Winterreise nicht abzusprechen. Die Diktion ist vorbildlich, deutscher als bei vielen deutschen Sängern mit kernig artikulierten Konsonanten und gelegentlichen rollenden R’s, der Gesang vollmundig und rund, aber auch ungemein beweglich und elegant in höheren Lagen und im mezza voce. Eugene Asti geht am Klavier wunderbar auf ihn ein, beide bleiben immer ganz eng am Notentext, auch was die dynamischen Angaben angeht, und finden trotz Schuberts oft nur vagen Angaben (nicht zu langsam, ziemlich schnell) immer das richtige Tempo. Alles entwickelt sich organisch.
Ein kleines Aber
Eine meisterhafte Interpretation von beiden Künstlern, ohne Zweifel. Und doch habe ich Mühe, das lyrische Ich, das sich in Wilhelm Müllers Gedichten offenbart, in Rutherfords Vortrag wiederzuerkennen. Von einem Jüngling ist da die Rede, der panikartig aus der Stadt, in der seine Geliebte einen anderen Mann geheiratet hat, in die „Wüsteneien“ flieht und bereit ist, eine Straße zu gehen, „die noch keiner ging zurück“. Das Alter des Sängers ist nicht das Problem. Auch ein 50jähriger Mann kann in Depressionen verfallen, wenn er auf diese Art seine Liebste verliert, und wenn er auch sonst in einer midlife crisis steckt, können diese sogar zum Suizid führen. Aber Rutherford macht im Gesang einen körperlich, geistig und seelisch kerngesunden Eindruck, ein ganzer Mannskerl in den besten Jahren, den so etwas nicht erschüttern dürfte. Er singt zwar „ich“, aber so, als ob er von einem guten Bekannten spräche, dem das alles passiert ist.
Ekkehard Pluta [27.11.2021]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Franz Schubert | ||
1 | Gute Nacht | 00:05:41 |
2 | Die Wetterfahne | 00:01:42 |
3 | Gefrorne Tränen | 00:02:22 |
4 | Erstarrung | 00:02:55 |
5 | Der Lindenbaum | 00:04:40 |
6 | Wasserflut | 00:03:50 |
7 | Auf dem Flusse | 00:03:23 |
8 | Rückblick | 00:02:04 |
9 | Irrlicht | 00:02:28 |
10 | Rast | 00:03:26 |
11 | Frühlingstraum | 00:03:49 |
12 | Einsamkeit | 00:02:53 |
13 | Die Post | 00:02:14 |
14 | Der greise Kopf | 00:02:41 |
15 | Die Krähe | 00:01:59 |
16 | Letzte Hoffnung | 00:01:57 |
17 | Im Dorfe | 00:03:18 |
18 | Der stürmische Morgen | 00:00:51 |
19 | Täuschung | 00:01:13 |
20 | Der Wegweiser | 00:04:09 |
21 | Das Wirtshaus | 00:04:20 |
22 | Mut | 00:01:20 |
23 | Die Nebensonnen | 00:02:54 |
24 | Der Leiermann | 00:03:26 |
Interpreten der Einspielung
- James Rutherford (Bariton)
- Eugene Asti (Klavier)