Franz Lehár
Cloclo
cpo 777 708-2
2 CD • 2h 00min • 2019
20.07.2020
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
„Eine typische, lustige Operette“ ohne die ihm nachgesagten Ambitionen zur Oper wollte Franz Lehár dem Publikum mit seiner Cloclo bieten, die am 24. März 1924 im Wiener Bürgertheater Premiere hatte. Da steckte er schon mitten in der Arbeit an Paganini, der ersten seiner Tauber-Operetten, die seinem nachlassenden Ruhm neuen Aufschwung gaben, in denen der Entsagungsschmerz aber alle Heiterkeit verdrängte. Die ersten großen Erfolge von Cloclo in Wien und an vielen anderen Bühnen im In- und Ausland verebbten allerdings schon in den 30er Jahren. Seither wurde das Stück so gut wie nicht mehr gespielt. Der letztjährigen Produktion beim Festival in Bad Ischl, deren Mitschnitt hier vorliegt, kommt also fast der Rang einer „Ausgrabung“ zu.
Turbulentes Libretto
Das Libretto von Bela Jenbach, der auch an Paganini mitschrieb, basiert auf dem Schwank Der Schrei nach dem Kinde, der Jahre zuvor im Theater in der Josefstadt die Kasse gefüllt hatte. Cloclo Mustache, Tänzerin der Pariser Folies-Bergère, hält sich einen ganzen Hofstaat von Verehrern, zu denen auch Severin Cornichon, der Bürgermeister von Perpignan, gehört, den sie nur „Papà“ nennt. Als dessen Ehe-Xanthippe Melousine einen Brief von ihr abfängt, schließt sie aus der Anrede auf eine voreheliche Sünde ihres Gatten, und da sie selbst kinderlos geblieben ist, eilt sie nach Paris, um Cloclo als Tochter nachhause zu holen. Der kommt dieser Tapetenwechsel sehr gelegen, da sie einer Verhaftung entgehen will. Sie hatte einen Polizisten geohrfeigt und die Geldstrafe nicht bezahlt. Als Babette spielt sie in Perpignan die Unschuld vom Lande und verdreht gerade damit allen Männern den Kopf. Zur Feier des 50. Geburtstags von Cornichon platzt die Bombe. Cloclo wird identifiziert und festgenommen. Im 3. Akt, der in einem fidelen Gefängnis à la Fledermaus spielt, fügt sich schließlich alles zum Happy End.
Rhythmische Zündkraft der Tänze
Ob das wirklich ein Sujet für Lehár war, ist fraglich. Schon die Ouvertüre kommt für eine derartige Petitesse viel zu pompös daher. Auch in den Gesangsnummern wirkt die Orchesterbesetzung oft zu dick. Der Komponist setzt im übrigen ganz auf die rhythmische Zündkraft der Tänze der 20er Jahre: Tango, Blues, Foxtrott, Jimmy, Java. Denen wird alles untergeordnet – die Zeichnung der Figuren, die dramatischen Situationen und nicht zuletzt auch die Melodien, die sich weniger einprägen als in früheren und späteren Operetten Lehárs. Hier, wo es weder um echte noch um falsche Gefühle geht, fühlte er sich offenbar weniger inspiriert. Andererseits ist sein Sinn für Ironie und Parodie nicht so stark ausgeprägt, um aus dem aberwitzigen Handlungsverlauf Funken zu schlagen. Merkwürdigerweise nutzt er auch das französische und speziell das Pariser Kolorit, das durch Schauplatz und Personnage vorgegeben ist, musikalisch nicht aus.
Bei der Uraufführung hatte das Foxtrott-Lied Ich habe „La garçonne“ gelesen den größten Erfolg. Es wird von der prüden Melousine gesungen, die erst jetzt bei der Lektüre erkannt haben will, was sie in ihrem Leben alles verpasst hat. Der 1922 erschienene Roman von Victor Margueritte (in der deutschen Fassung: Die Aussteigerin) war damals ein skandalträchtiger Bestseller und hat den neuen Typ einer androgynen, emanzipierten und sexuell freizügigen Frau geschaffen. Wie Monique Lerbier im Roman landet auch Cloclo Mustache nach einer erotischen Odyssee durch die Pariser Bohème in einer gutbürgerlichen Ehe, was in der Ischler Bearbeitung durch Jenny W. Gregor allerdings schamhaft verdrängt wird. Ansonsten ist die dramaturgische Einrichtung dieser halbszenischen Aufführung (Regie: Markus Kupferblum) nicht ungeschickt, da sie die gesprochenen Texte von einem pointierenden Erzähler (Frank Voß) zusammenfassen, in kürzeren Einschüben aber auch einige komische Dialoge zur Geltung kommen lässt.
Stimmiges Ensemble
Das Publikum in Bad Ischl hat sich offenbar gut amüsiert, der Hörer am CD-Player kann aber nicht alle Lacher mitvollziehen. Offenbar hat die Spiellaune aller Beteiligten keinen unwesentlichen Anteil am Erfolg der Aufführung gehabt. Musikalisch wirkt sie eher launig als spritzig. Marius Burkert und das Franz Lehár Orchester drehen ordentlich auf – das hat einen gewissen Schwung, hebt aber nie vom Boden ab. Das Ensemble, in dem alle Rollen stimmig besetzt sind, zeigt gutes Stadttheater-Niveau. Sieglinde Feldhofer, seit Jahren eine feste Größe der Festspiele, hat auf der Bühne möglicherweise noch frecher gewirkt als auf der Tonkonserve, Gerd Vogel, der auf seiner Heimatbühne in Halle auch schon Beckmesser und Alberich gesungen hat, gibt dem Pantalone Cornichon stimmliches Gewicht und Susanna Hirschler nutzt das komische Potential ihrer Rolle ohne Hemmungen. Als Bonus ist nach dem offiziellen Finale ein unlängst in den Archiven der Lehár-Villa gefundenes Lied der Cloclo über den Umgang mit Polizisten zu hören.
Ekkehard Pluta [20.07.2020]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
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CD/SACD 1 | ||
Franz Lehár | ||
1 | Cloclo (Operette in drei Akten) | 02:00:02 |
Interpreten der Einspielung
- Sieglinde Feldhofer (Cloclo Mustache - Sopran)
- Gerd Vogel (Severin Cornichon - Bariton)
- Susanna Hirschler (Melousine, Severins Frau - Sopran)
- Ricardo Frenzel Baudisch (Chablis, ein Klavierlehrer - Tenor)
- Daniel Jenz (Maxime de la Vallé - Tenor)
- Matthias Störmer (Petipouf, ein Polizist - Bariton)
- Frank Voß (Erzähler)
- Chor des Lehár Festivals Bad Ischl (Chor)
- Franz Lehár-Orchester (Orchester)
- Marius Burkert (Dirigent)