John Pickard
The Gardener of Aleppo and other Chamber Works
BIS 2461
1 CD/SACD stereo/surround • 79min • 2018
24.06.2020
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Ich habe den 1963 geborenen englischen Komponisten John Pickard Ende der 1990er Jahre als einen exzellenten Meister der orchestralen Programmmusik kennengelernt, mit einer Lust am Abenteuer, konkreten Schilderungsgabe von ausgezeichnetem Geschmack und musikantischer Verve, fast gegenständlich fesselnden Erzählweise und zugleich ausgeprägtem Bewusstsein für eine zusammenhängend erlebte Formung – jemand, der fast schon wie ein zeitgenössischer Nachfolger des frühen Richard Strauss anzumuten schien. In der Folge ließ er auch mit fein gearbeiteten Symphonien und wertvollen Streichquartetten aufhorchen. Von Anfang an begleitete BIS Records seinen Weg, und noch heute gehört er zum kleinen Kreis der regelmäßig von BIS mit Veröffentlichungen bedachten lebenden Komponisten.
Man könnte John Pickard – ebensogut wie seine nicht minder interessanten Kollegen der selben Generation in England Matthew Taylor, David Hackbridge-Johnson und Steve Elcock – mit gutem Recht als Postmodernisten bezeichnen, wäre diese Etikettierung nicht mit so viel ästhetischem Müll gerade auch aus dem deutschsprachigen Raum besetzt. So ist es vielleicht passender, diese Tonschaffenden als Meister der Synthese zu bezeichnen, die sich in den Zeitstilen seit der Renaissance und oft auch in außereuropäischer Musik recht gut auskennen und jeder für sich eine Art unverwechselbarer Fusion dessen, was ihm lieb und teuer ist, anstreben.
Werke von 1984 bis 2016
Pickard pflegt zugleich das heute viel gehegte Ideal, sich quasi mit jedem Werk neu zu erfinden, und er lässt durchblicken, dass jedes Werk eine Art Gegenreaktion zu seinem jeweiligen Vorgänger-Opus ist. Nun hat BIS erstmals eine gemischte Sammlung von Kammermusik und Kompositionen für Kammerensemble vorgelegt. In Letzteren (Daughters of Zion, Ghost Train, Serenata concertata) profitiert der Hörer ungemein vom unbestechlich scharfsinnigen und klaren Dirigat Martyn Brabbins’. Alle Werke werden von Musikern des Nash Ensemble bestritten, die beiden eröffnenden (The Gardener of Aleppo und Daughters of Zion) und das abschließende (Ghost Train) wurden 2016 komponiert; das düster dramatisierende Snowbound für Bassklarinette, Cello und Klavier stammt von 2010, die kurzweilig gehaltvollen Three Chicken Studies für Oboe solo von 2008, das absichtlich sich selbst aus dem Fluss bringende, absurde Spektakel The Phagotus of Afranio für Fagott und Klavier von 1992; die fünfsätzige Serenata concertata für Soloflöte und Kammerensemble schrieb Pickard 1984 mit 20 Jahren – sie ist im Satz weniger dicht gehalten und fasziniert mit einem elegant forschen Scherzo-Notturno, das die außergewöhnliche Begabung des jungen Komponisten belegt.
Wohl berechneter, geschmeidiger Aufbau
The Gardener of Aleppo, für die von Debussy initiierte Besetzung von Flöte, Bratsche und Harfe geschrieben, schildert sehr bildhaft die flatterhafte Tragik eines Blumenhändlers im syrischen Kriegselend, der letztlich stirbt und hier mit einem Epitaph bedacht wird, der die Sinnlosigkeit der grausamen Ereignisse pittoresk hervorkehrt. Ein reizvolles, oft improvisatorisch frei anmutendes Stück, das bewusst keine klare Zielstrebigkeit kennt. Ghost Train ist ein Achterbahnritt auf dem Dies Irae-Motiv, der immer wieder zur Geisterbahn wird und seine Gruseleien so offen auf den Tisch legt, dass sie wie ein Klang gewordenes Hitchcock-Drehbuch anmuten. Für mich die stärkste Komposition ist Costa-Vertonung Daughters of Zion, gesungen von der in diesem Fall mit ihrem drastischen Ausdruck sehr passend besetzten Sopranistin Susan Bickley und begleitet von Flöten, Klarinette, Klavier, Schlagzeug, Geige, Cello und Kontrabass. Hier kann man den so wohl berechneten wie geschmeidigen Aufbau, die niemals stagnierenden, intensiv beschworenen dunklen Stimmungswelten, das wunderbar seinen Bogen errichtende Melos, die wohl proportionierte Gliederung wie auch das ausgezeichnete Timing der überraschenden Wendungen bewundern. So hochkultiviert und spannend zugleich kann zeitgenössische Musik sein, wenn sie weder der Angst vorm Beifall von der ‚falschen Seite‘ noch dem Buhlen um die Anerkennung von der ‚richtigen Seite‘ unterliegt, sondern aus sich selbst verpflichteter Inspiration und Höhe der Qualität entsteht. Die Aufführungen sind durchweg hochklassig, der klar informierende Booklettext vom Komponisten selbst verfasst.
Christoph Schlüren [24.06.2020]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
John Pickard | ||
1 | The Gardener of Aleppo | 00:11:08 |
2 | Daughters of Zion | 00:08:06 |
3 | Snowbound | 00:10:16 |
4 | Serenata Concertata | 00:20:35 |
9 | Three Chicken Studies | 00:04:26 |
12 | The Phagotus of Afranio | 00:10:26 |
13 | Ghost-Train | 00:12:40 |
Interpreten der Einspielung
- Susan Bickley (Mezzosopran)
- Philippa Davies (Flöte)
- The Nash Ensemble (Ensemble)
- Martyn Brabbins (Dirigent)