Christoph Graupner
Das Leiden Jesu • Passion Cantatas IV
cpo 555 348-2
1 CD • 57min • 2020
27.04.2020
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Klassik Heute
Empfehlung
Wie waren die Götter der frühen Musikwissenschaft im 19. Jahrhundert doch darüber entsetzt, dass die ignoranten Leipziger die „modischen Vielschreiber“ Georg Philipp Telemann und Christoph Graupner wesentlich lieber mit dem Thomaskantorat betraut hätten, als den einzigartig genialen Johann Sebastian Bach. Dabei hatten die Leipziger durchaus nachvollziehbare Gründe: 1. war für die Stelle ein Universitätsabschluss vonnöten, den Graupner und Telemann vorweisen konnten, 2. hatten beide in ihrer Zeit als Jurastudenten um 1700 der Stadt durch das studentische – später von Bach im Café Zimmermann dirigierte – „Telemannische Collegium Musicum“ wesentliche musikalische Impulse verschafft. Diese vermeintliche Konkurrenzsituation trübte die Harmonie unter den drei miteinander gut bekannten Komponisten jedoch keineswegs, da Telemann in Hamburg und Graupner in Darmstadt auf diesem Wege bessere Vertragsbedingungen heraushandeln konnten.
Graupner, der galantere Bach
In den hier eingespielten Werken zeigt sich, dass der immer noch unterschätze Christoph Graupner durchaus in der Lage war, seinen beiden berühmteren Kollegen auf Augenhöhe zu begegnen. Seine Setzweise ist dichter als die Telemanns, jedoch nicht so komplex wie die Bachs. Da er in Darmstadt nur über einen kleineren Aufführungsapparat verfügte, sind seine Werke generell kammermusikalischer angelegt. In der formal groß angelegten Kantate Die Gewaltigen raten nach ihrem Muthwillen finden sich deshalb so subtile Effekte wie ein Sopran-Alt-Duett mit 2 obligaten Oboen und Solovioline, das von den Ripieno-Streichern im Pizzicato begleitet wird. Die Rezitative sind durchgehend als klanglich abwechslungsreiche Accompagnati ausgeführt. Nur Wenigen dürfte bewusst sein, dass Graupner ein Meister der Choralbearbeitung war. Deshalb ist es umso dankenswerter, dass dem Hauptwerk eine Auswahl von 13 Chorälen aus anderen Passionskantaten folgt. Besonders originell geriet Befiehl Du Deine Wege, in dem der Bass-Solist die einzelnen Choralzeilen auf eine neu komponierte Melodie singt, die vom Chor mit der „richtigen“ Fassung beantwortet wird.
Gelungene Interpretation
Ex Tempore und der Mannheimer Hofkapelle gelingt unter der Leitung von Florian Heyerick eine höchst lebendige Interpretation in kleiner Besetzung, wie sie im 18. Jahrhundert als Standard galt. Das Solistenquartett wird in den vierstimmigen „Chorsätzen“ nur durch 4 Ripienisten verstärkt, was zur Transparenz ungemein beiträgt. Wie vorbildlich hier kommuniziert wird, lässt sich daran ablesen, wie elegant Verzierungen aufgenommen und weiterentwickelt werden. Auch fällt der von den acht Solisten erzeugte homogene Gesamtklang höchst angenehm ins Ohr. Vielleicht hätte man an ein paar Stellen die Textverständlichkeit noch ein wenig schärfen können, was aber leicht den Gesamtklang aufraut. Besonderes Lob an die Oboen, die hier schlank und elegant und keinesfalls „quäkig-dominant“ auftreten, was gerade gegen eine kleinere Streicherbesetzung nicht gerade leicht ist. Die Aufnahmetechnik liefert ein weites, transparentes und farbiges Klangbild, der Booklettext vertiefte Informationen.
Fazit: Eine Aufnahme, die der Barockliebhaber keinesfalls verpassen sollte. Pflicht für Kirchenmusiker, die ja immer auf der Suche nach besetzungsmäßig erschwinglicher Literatur sind und Anregungen für eigene sonntägliche Choralimprovisationen suchen. Viele Partituren finden sich mittlerweile im Internet. Klare Empfehlung!
Thomas Baack [27.04.2020]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Christoph Graupner | ||
1 | Das Leiden Jesu vor dem Geist und weltlichen Gericht GWV 1132/41 (Kantate für Sonntag Laetare) | 00:24:00 |
8 | Hab ich dich in meinem Hertzen aus Kommt, lasst uns mit Jesu gehen GWV 1119/22 | 00:02:09 |
9 | Alsdann so werd ich deine Huld betrachten aus Ach lass dich unsers Elends jammern GWV 1119/37 | 00:01:31 |
10 | Herzliebster Jesu, was hast du verbrochen aus Wo gehet Jesus hin GWV 1119/39 | 00:01:19 |
11 | Dies Alles, ob für schlecht zwar ist zu schätzen aus Wo gehet Jesus hin GWV 1119/39 | 00:01:36 |
12 | Trotz dem alten Drachen aus Wer unter dem Schirm des Höchsten GWV 1120/51 | 00:02:39 |
13 | Hoff, o du arme Seele aus Dennoch bleib ich stets an dir GWV 1121/34 | 00:01:29 |
14 | Ertöt uns durch dein Güte aus Christus ist des Gesetzes Ende GWV 1123/16 | 00:02:23 |
15 | Befiehl du deine Wege aus Befiehl dem Herrn deine Wege GWV 1123/36 | 00:02:58 |
16 | Ach Gott, vom Himmel sieh darein aus Ach Gott vom Himmel sieh darein GWV 1124/37 | 00:02:30 |
17 | Gott ist gerecht und allzeit gut aus Ich habe mir vorgesetzt GWV 1124/38 | 00:03:03 |
18 | Sie wüten fast und fahren her aus Die Wahrheit findet keinen Glauben GWV 1124/44 | 00:01:45 |
19 | Jesus stirbt: ach! soll ich leben aus Jesus stirbt ach soll ich leben GWV 1125/13 | 00:04:43 |
20 | Jesus stirbt! Ach! bittres Sterben aus Jesus stirbt ach soll ich leben GWV 1125/13 | 00:04:55 |
Interpreten der Einspielung
- Viola Blache (Sopran)
- Franz Vitzthum (Altus)
- Daniel Schreiber (Tenor)
- Dominik Wörner (Bass)
- Barockorchester Mannheimer Hofkapelle (Orchester)
- Florian Heyerick (Dirigent)