Hindemith
Kammermusik I - II - III, Kleine Kammermusik
Ondine ODE 1341-2
1 CD • 67min • 2018, 2019
24.04.2020
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Klassik Heute
Empfehlung
Paul Hindemiths zwischen 1921 und 1927 entstandenen sieben Kammermusiken gehören sicherlich zu seinen interessantesten Kompositionen. Abgesehen von der ersten Kammermusik – für 12 Soloinstrumente – handelt es sich um Solokonzerte mit klein besetztem Kammerorchester, die von der Anlage, aber auch im Detail sehr stark an barocke Konzertformen anknüpfen. Trotzdem galt anfangs vor allem die Kammermusik Nr. 1 als typisches Bürgerschreck-Stück Hindemiths; er selbst hat sich schon in den späten 1930ern gewundert, dass etwa die Verwendung einer Sirene im Schlagzeug derart zu provozieren vermochte. Tatsächlich sind die Aufnahmen der Kammermusiken der letzten Jahrzehnte mehrheitlich eher gediegene Darbietungen, die sich an der Virtuosität – nicht nur der jeweiligen Soloparts – und Hindemiths ureigenem, skurrilen Humor erfreuen.
Ausgezeichnete Solisten und ein Dirigat mit Tiefgang
In der vorliegenden ersten Folge einer neuen Gesamteinspielung, die vom NDR 2018 in Hamburg aufgezeichnet wurde, leitet Christoph Eschenbach Streicher der im Taunus beheimateten Kronberg Academy und Bläser des Schleswig-Holstein Festival Orchestra. Details über die Solisten des Klavier- bzw. Cellokonzerts (Kammermusiken Nr. 2 & 3), Christopher Park und Bruno Philippe, unterschlägt das ansonsten informative Booklet. Die beiden machen ihre Sache wirklich ausgezeichnet – mit den Weltstars, die Riccardo Chailly 1990 versammelte (Brautigam und Harrell), können sie nur im unmittelbaren Vergleich nicht ganz mithalten. So ist Brautigam etwa bei den wieselflinken, zweistimmigen Passagen noch brillanter. Für das übrige Ensemble gilt jedoch, dass seine Spielfreude klar der streckenweise gelassenen Routine der Mitglieder des Concertgebouw überlegen ist. Eschenbach nimmt zumeist etwas gemäßigtere Tempi als Chailly oder Markus Stenz mit dem Ensemble Modern, versteht aber nicht zuletzt dadurch, der ganzen Musik deutlich mehr musikalischen Gehalt einzuhauchen. Ihm gelingen durchgehend beeindruckende Ausdruckswelten, die den Hindemith oft auch unterstellten Akademismus Lügen strafen – besonders in den langsamen Sätzen von Nr. 2 und 3. Wo Stenz ausschließlich auf maximale Durchsichtigkeit setzt, was leider von der Aufnahmetechnik zum Teil wieder zunichte gemacht wird, und Chailly mehr orchestral denkt, schafft Eschenbach ein Gleichgewicht zwischen Solisten und deren Mitspielern, das sowohl spannungsreich ist als auch klanglich überzeugt. Der Witz mancher kürzeren Sätze kommt ebenso nicht zu kurz; und z.B. die Maschinengewehrsalven des Schlagzeugs im Finale von Nr. 1 wirken so brachial, wie sie gemeint sind – noch ein Nachhall des Ersten Weltkriegs.
Erfrischend jugendliche Überzeugungsarbeit
Die auch hier wieder mit berücksichtigte Kleine Kammermusik, op. 24 Nr. 2 für Bläserquintett bestätigt die hohe Qualität, die Eschenbachs gründliche Erarbeitung aller Werke mit einem erfrischend jugendlichen Ensemble zustande gebracht hat. Hier wird echte Überzeugungsarbeit geleistet: Die Musik verströmt eine Natürlichkeit, die keine Sekunde verschreckt und immer packend ist. Zudem muss man die Aufnahmetechnik loben, die bei ausgewogenem Klangspektrum eine gute räumliche Abbildung vermittelt. Trotz starker Konkurrenz darf man diese Neueinspielung bedenkenlos empfehlen.
Vergleichsaufnahmen: Riccardo Chailly, Royal Concertgebouw Orchestra (Decca 433 816-2, 1990), Markus Stenz, Ensemble Modern (RCA 09026 61730-2, 1993-94).
Martin Blaumeiser [24.04.2020]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
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CD/SACD 1 | ||
Paul Hindemith | ||
1 | Kammermusik op. 24 Nr. 1 für Bläserquintett | 00:15:22 |
5 | Kammermusik Nr. 2 op. 36 Nr. 1 (Konzert für obligates Klavier und 12 Solo-Instrumente) | 00:18:22 |
9 | Kammermusik Nr. 3 op. 36 Nr. 2 (Konzert für Violoncello und 10 Solo-Instrumente) | 00:18:34 |
13 | Kleine Kammermusik op. 24 Nr. 2 für Bläserquintett | 00:14:25 |
Interpreten der Einspielung
- Kronberg Academy Soloists (Solisten)
- Schleswig-Holstein Festival Orchester (Orchester)
- Christoph Eschenbach (Dirigent)