Ferruccio Busoni
Violin Sonatas op. 29 & op. 36a
cpo 555 213-2
1 CD • 61min • 2016
27.02.2020
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Klassik Heute
Empfehlung
Die künstlerische Entwicklung Ferruccio Busonis, der kaum zufällig den Doktor Faust zum Helden seiner wichtigsten Oper machte, bietet das Bild eines fortwährenden Strebens nach einem Ideal. Mehrmals sieht man ihn, wie er mit aller ihm zu Gebote stehenden Kraft auf ein Ziel zusteuert, und es auch erreicht. Aber immer wieder gelangt er zu der Ansicht, dass dieses Erreichte doch nicht das gewesen sei, wonach er tatsächlich gestrebt hat. Das Ideal vor Augen richtet er sich neu aus und schafft weiter. Äußerlich schlägt sich diese idealistische Unrast in der chaotischen Opuszählung seines Werkverzeichnisses nieder, in welchem er wiederholt frühere Werke gleichsam überschreibt, indem er ihre Nummern an spätere vergibt. Zeitweise behilft er sich dabei mit Zusatzbuchstaben, weshalb seine 1898 entstandene Zweite Violinsonate sein op. 36a ist. Dieses Werk möchte er als „mein Opus eins“ betrachtet wissen, alles Frühere dadurch in den Rang von Vorarbeiten herabstufend. Und auch mit op. 36a ist er, wie man im Beiheft der vorliegenden Aufnahme erfährt, zehn Jahre nach der Entstehung nicht mehr zufrieden...
Ein junger Faust in guten Händen
Angesichts der unruhigen Disposition des großen Mannes, dessen Entwurf einer neuen Ästhetik der Tonkunst einst Hans Pfitzner zu polemischer Entgegnung trieb und den durchaus sympathisierenden John Foulds vor Rätsel stellte, erstaunt immer wieder, wie deutlich er sein Ideal, die Klassizität, in jedem Abschnitt seines Lebens Gestalt annehmen lassen konnte. So verschiedene Ansätze er auch wählte, so wohlgeformt und in sich geschlossen stehen letztlich die Werke da. Dass die Zweite Violinsonate zu den überragenden Gattungsbeiträgen ihrer Zeit gehört, ist bekannt, und muss hier nicht gesondert hervorgehoben werden, aber auch die neun Jahre ältere Erste Sonate darf man getrost Meisterwerk nennen. Der 23-jährige Busoni hat sich in diesem Stück noch nicht von der überkommenen Sonatenform gelöst, aber mit welcher Souveränität formt er hier im Geiste der Tradition, und welch markantes, persönliches Profil zeigt sich hier bereits! Hervorzuheben ist namentlich der in a-Moll beginnende und in C-Dur schließende Mittelsatz, der völlig zwanglos mit den Gestaltungsmitteln des späten 19. Jahrhunderts eine Atmosphäre geheimnisvoller, stiller Erhabenheit schafft, die an Bachsche Adagios gemahnt. Diese Sonate ist, wie auch die Zweite, Ausdrucksmusik im Sinne Bachs und Beethovens, ein „Spätromantiker“ war Busoni auch in jungen Jahren nicht.
Gut aufeinandeer eingestimmte Musiker
Ingolf Turban und Ilja Scheps versuchen gar nicht, ihn in ihrer Einspielung der Violinsonaten als einen solchen darzustellen. Die beiden gut aufeinander eingestimmten Musiker, deren Zusammenspiel sich in den zahlreichen kontrapunktisch gearbeiteten Abschnitten trefflich bewährt, wählen gleichmäßige, nie überhastet oder zerdehnt wirkende Tempi und beachten die Vortragsanweisungen genau. Turban spielt weitgehend ohne Vibrato; nur an wenigen Stellen gestattet er sich, es ganz dezent als klangfarbliche Hervorhebung zu gebrauchen (so in der Coda der Zweiten Sonate). Die Darbietungen beider Sonaten wirken ausgewogen und völlig in sich stimmig. Bei Scheps und Turban ist Busoni ist guten Händen.
Zwei kleine Abstriche muss man an der Veröffentlichung machen: Zum einen ist auf der CD die Pause zwischen den beiden Sonaten zu kurz geraten, zum andern hat sich in die Titelliste des Beihefts ein Fehler eingeschlichen: Die Sätze heißen dort alle entweder „Adagio“ oder „Allegro giocoso“. Um einen besseren Überblick über die Aufteilung der CD zu ermöglichen, seien hier den Nummern die korrekten Titel zugeordnet:
Sonate Nr. 1:
1. Allegro deciso 2. Molto sostenuto – Più lento, Andante sostenuto 3. Allegro molto e deciso
Sonate Nr. 2:
4. Langsam – 5. Presto – 6. Andante, piuttosto grave – 7. [Thema:] Andante con moto – 8. Poco più andante – 9. Alla marcia vivace – 10. Lo stesso movimento – 11. Andante – 12. Tranquillo assai – 13. Allegro deciso, un poco maestoso – 14. Più tranquillo, apoteotico.
Norbert Florian Schuck [27.02.2020]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
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CD/SACD 1 | ||
Ferruccio Busoni | ||
1 | Violinsonate Nr. 1 e-Moll op. 29 | 00:26:27 |
4 | Violinsonate Nr. 2 e-Moll op. 36a | 00:34:28 |
Interpreten der Einspielung
- Ingolf Turban (Violine)
- Ilja Scheps (Klavier)