Nicolai Tcherepnin
Narcisse et Echo op. 40
cpo 555 250-2
1 CD • 57min • 2018
27.01.2020
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Zu Lebzeiten international geschätzt als Komponist, Dirigent und Pädagoge (zu seinen Schülern zählte Sergej Prokofjew), spielt Nikolai Tcherepnin (1873-1945) in der Musikgeschichte nur eine marginale Rolle. Das mag vor allem daran liegen, dass er einen ästhetischen Standpunkt vertrat, der weitgehend im späten 19. Jahrhundert verwurzelt blieb und sich den Herausforderungen der Moderne nur sehr zurückhaltend stellte. Für die von Sergej Diaghilew ins Leben gerufenen Ballets Russes hatte er eine musikalische Pionierfunktion, wurde aber bald von Igor Strawinsky, Maurice Ravel und Claude Debussy in den Hintergrund gedrängt.
Musik für Diaghilews Ballets Russes
Narcisse et Echo, am 26. April 1911 im Casino von Monte Carlo unter seiner Leitung uraufgeführt, basiert auf einem Kapitel aus Ovids Metamorphosen. Eine im Original tragikomische Geschichte: Sie können zusammen nicht kommen - der in sein eigenes Abbild verliebte Narziß und die in ihn verliebte Echo, die seine Gesten und Worte nur wiederholen, sie aber nicht selbständig beantworten kann. Am Ende verwandelt er sich in eine phantastische Blume, sie sich in puren Klang. Diaghilews Ballets Russes strebten das Gesamtkunstwerk an, die Synthese von Ausstattung, Choreographie, Tanzkunst und Musik. Fürs Optische sorgte hier Léon Bakst, der auch das Libretto schrieb, Michail Fokin übernahm die Choreographie, die männliche Hauptrolle war mit dem legendären Waslaw Nijinski besetzt.
Stilisierte Antike
Die Qualität der Musik bemisst sich in dieser Konzeption an ihrer Fähigkeit, für die Farbenpracht der Ausstattung und die Bewegungsabläufe der Choreographie klangliche Äquivalente zu finden. Tcherepnin erweist sich in der Verwendung der instrumentalen Farbpalette als ein Meisterschüler von Nikolai Rimsky-Korsakov und lässt in nahtlos ineinander übergehenden kurzen Sätzen das tänzerische Geschehen imaginieren, ohne sich im Illustrativen zu verlieren. Flöte und Harfe beschwören die Welt der Sylphen und Nymphen, Tenor- und Chorvokalisen untermalen die Begegnungen des glücklosen Liebespaars. Tcherepnin erschafft eine stilisierte Antike, in der sich die damals noch aktuellen Tendenzen des Symbolismus, des Jugendstils und des Impressionismus verbinden. Ein Jahr später kam Ravels Daphnis et Chloé bei den Ballets Russes heraus, ebenfalls eine Adaption griechischer Mythologie, der zumindest im Konzertsaal eine längere Lebensdauer beschieden war.
Wirkungsvoll - auch ohne den szenischen Eindruck
Dass Tcherepnin diese Zurücksetzung nicht verdient hat, machen die Bamberger Symphoniker unter der Leitung des sensiblen polnischen Dirigenten Łukasz Borowicz eloquent deutlich. Sie verstehen den ganzen Klangzauber der Partitur zu entfalten und setzen die Phantasie des Hörers frei, der auch ohne den szenischen Eindruck ins Geschehen hineingezogen wird. Diese cpo-Einspielung füllt eine Lücke, da eine ältere Aufnahme unter Gennadi Roshdestvensky (Chandos, 1968) nur noch auf Umwegen erhältlich ist. Dem Ballett vorausgeschickt ist das 1896 entstandene symphonische Prélude zum Schauspiel La Princesse Lointaine, das Edmond Rostand (Cyrano de Bergerac) für die große Theater-Diva Sarah Bernhardt geschrieben hatte. Es handelt sich um ein Jugendwerk, eine begabte Schülerarbeit Tcherepnins, in der die Einflüsse von Tschaikowsky und Rimsky-Korsakow noch sehr deutlich sind.
Ekkehard Pluta [27.01.2020]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
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CD/SACD 1 | ||
Nikolai Tscherepnin | ||
1 | La princesse lointaine op. 4 (Sinfonisches Vorspiel) | 00:08:13 |
2 | Narcisse et Echo op. 40 (Ballett) | 00:48:24 |
Interpreten der Einspielung
- Moon Yung Oh (Tenor)
- Bamberger Symphoniker (Orchester)
- Łukasz Borowicz (Dirigent)