Yi Lin Jiang
Dualis
part 1
Solaris Records SOL19011
1 CD • 66min • 2019
04.01.2020
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Der Pianist Yi Lin Jiang, in München geboren und mit chinesischem Backgroud, reflektiert im Booklet seiner CD über den Zusammenklang von künstlerischer Vita und eigener Persönlichkeitsentwicklung. Das schließt ein Nachdenken über die Schattenseiten des Künstlerberufes nicht aus - ebenso, wie Yi Lin Jiang sich von so manchem Lebensschicksal großer Komponisten sehr berührt zeigt. Dementsprechend scheint es naheliegend, dass die Lesart dieses Pianisten, der unter anderem bei Heinz Kämmerling und Ewa Kupiec studierte, vor allem eine nachdenklich-reflektierende, manchmal grüblerische ist.
Der bemerkenswerteste Teil dieser, seiner zweiten CD, steht direkt am Anfang des Programms: Yi Lin Jiang erteilte dem US-Amerikaner Randall Meyers einen Kompositionsauftrag für das Stück Simplexity , das hier in einer Weltersteinspielung vorliegt. Das Wortspiel aus complexity und simplicity ist Programm für diese circa 15 hochverdichteten Minuten. Komplex ist die Vielfalt aus musikalischen Bezügen, emotionalen Zuständen und vor allem aus Anspielungen an die Musik, die heute zum Kernrepertoire vieler Pianisten gehört. Da kommt gleich zu Beginn eine Chopin-Tonfolge ins Spiel. Später folgen Anspielungen auf Prokofiev und Schostakowitsch. Verbindendes Element sind viele kraftstrotzende virtuose Parts. Ruhepole werden durch atmosphärische Impressionen gesetzt. Gerne geht es auch mal kontrolliert atonal oder auch dezent jazzig zu. Diese Vielfalt prägt den heutigen Hör- und Sozialisationshorizont. Entsprechend befreit und hellsichtig stürzt sich Yi Lin Jiang in den Spielfluss hinein - eben so, dass aus der Komplexität eine klare, einheitliche Richtung, also „Simplexity“ hervor geht.
Vervollständigt wird das Programm durch eine nicht minder subjektive Auswahl, die aber manchmal den unmittelbar erlebbaren Spannungsbogen vernachlässigt. Verstärkt wird der Eindruck durch die getragene, manchmal gedämpft wirkende Spielweise, während Yi Lin Jiang im neuen Stück des Amerikaners zuvor deutlich befreiter aufspielte. In der zweihändigen Fassung von Ravels Ma mère l'oye könnte die spezifische impressionistische Farbenpracht durch stärkeres Hervorheben der harmonischen Reibungen in den Mittelstimmen noch mehr Wirkung entfalten. Auch im selten gespielten Zweiteiler von Leos Janácek aus dem Jahr 1905 wäre eine pointiertere Gratwanderung zwischen böhmischem Kolorit und Vormoderne denkbar. Nicht minder getragen, aber dennoch virtuos und kraftvoll in ausgesuchten Momenten schließt sich Sergej Prokofievs c-Moll-Sonate an.
Aus all dem spricht eine durchaus ehrenwerte Vorsicht, die einem hohem Respekt vor den Werken und ihren Schöpfern geschuldet ist. Umso verdienstvoller ist, dass Yi Lin Jiang sich mit dem neuen Auftragswerk von Randall Meyers couragiert einer musikalischen Gegenwart verschreibt, die aus einem reichen Erfahrungssschatz Neues hervor bringt.
Stefan Pieper [04.01.2020]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Randall Meyers | ||
1 | Simplexity for Solo Piano Nr. 1 | |
Maurice Ravel | ||
2 | Ma mère l'oye (Suite) | |
Leoš Janáček | ||
7 | Piano Sonata 1.X.1905 e flat minor | |
Sergej Prokofjew | ||
9 | Klaviersonate Nr. 4 c-Moll op. 29 (D' après de vieux cahiers) |
Interpreten der Einspielung
- Yi Lin Jiang (Klavier)