Modest Mussorgsky
Boris Godunov (1869 version)
BIS 2320
2 CD/SACD stereo/surround • 2h 05min • 2017
04.10.2019
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Lange Zeit war Mussorgskys Hauptwerk auf den internationalen Bühnen nur in der Bearbeitung von Rimsky-Korsakov zu erleben, die nach seinem Tod 1896 in Petersburg herauskam und in der Bereicherung und Verfeinerung der Instrumentierung das Urwüchsig-Eigentümliche seiner Tonsprache glättete und verfälschte. Puristen rümpfen aber auch über die 1874 uraufgeführte Fassung von Mussorgskys eigener Hand die Nase, die als ein Zugeständnis an den damals herrschenden, an der Grand Opéra orientierten Zeitgeschmack gilt, und bevorzugen den heute so genannten „Ur-Boris“ von 1869, der von der Direktion des Kaiserlichen Theaters abgelehnt wurde. Hier fehlen noch der zentrale Polen-Akt, in dem Grigory als falscher Dimitrij den Reizen der Fürstin Marina verfällt, sowie der Epilog mit seiner Machtergreifung in der Heimat. Nur diese Urfassung, so die Einschätzung der Puristen, vermittle ein richtiges Bild von dem modernen, ja revolutionären Opernstil Mussorgskys.
In dem hier vorliegenden Zusammenschnitt konzertanter Aufführungen in Göteborg tut Kent Nagano am Pult des in allen Positionen gut aufgestellten Gothenburg Symphony Orchestra allerdings alles, um der Partitur das Rauhe, Widerborstige auszutreiben, und setzt auf einen glatten und etwas unverbindlichen Schönklang. Bei ihm findet das Musikdrama Boris Godunow nicht statt, das Werk erscheint als szenisches Oratorium. Und in diesem Sinne werden auch die Sänger geführt. Alexander Tsymbaliuk, ein russischer basso cantante, versagt sich als Boris alle „Schaljapinismen“ (d.h. äußerliche vokale Gesten), auf die auch große Interpreten der Rolle wie Nicolai Ghiaurov und Martti Talvela nicht verzichten wollten, er singt die gesamte Partie bis zur Sterbeszene im Sinne des Belcanto wunderbar „auf Linie“, aber von den Abgründen der Figur und von ihren Gewissensqualen vermittelt er nicht viel. Ein basso nobile ist auch der Finne Mika Kares, der sich auch in der Stimmfarbe nicht wesentlich von Tsymbaliuk unterscheidet; den ruhigen Erzählungen Pimens kommt das durchaus entgegen. Alexey Tikhomirov dagegen verschenkt den Auftritt des betrunkenen Bettelmönchs Varlaam, was mehr an der musikalischen Gesamtkonzeption als an seinen stimmlichen Mitteln liegt. Fast folgerichtig ist auch der Intrigant Shuisky mit einem Tenor (Maxim Paster) besetzt, dem man auch einen Tamino zutrauen würde. Da Grigorij in dieser Fassung nur eine Episodenfunktion zukommt, lässt sich nur mutmaßen, wie sich Sergei Skorokhodov im Polenakt geschlagen hätte. Auch in den kleinen Rollen gibt es durchweg ansprechende gesangliche Leistungen. Aber in summa ist das Prädikat „geschmackvoll“ für eine Aufnahme des Boris Godunov kein wirkliches Lob.
Ekkehard Pluta [04.10.2019]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
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CD/SACD 1 | ||
Modest Mussorgsky | ||
1 | Boris Godunow | 02:05:15 |
Interpreten der Einspielung
- Alexander Tsymbalyuk (Boris Godunow - Baß)
- Maxim Pastér (Fürst Wassili Iwanowitsch Schuiski - Tenor)
- Mika Kares (Pimen, Mönch, Chronikschreiber - Bariton)
- Sergei Skorokhodov (Grigori Otrepjew, Prätendent, der falsche Dmitri - Tenor)
- Göteborg Opera Chorus (Chor)
- Gothenburg Symphony Orchestra (Orchester)
- Kent Nagano (Dirigent)