In bester Gesellschaft
Freche Lieder der Vorzensur für Gesang und Klavier
Thorofon CTH2643
1 CD • 48min • 2017
01.03.2018
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Immer wieder gibt es musikhistorische Überraschungen: Zwar ist Johann Vesque von Püttlingen (1803–1883) nahezu völlig unbekannt, er gehörte zu den in Wien häufig vorkommenden komponierenden Hofbeamten (er hat es als Dr. jur. bis zum Sektionschef im Außenministerium gebracht), aber immerhin ist in Wien eine Gasse nach ihm benannt, er hat bei Ignaz Moscheles und Simon Sechter studiert, war mit Franz Schubert und dessen Leib-und-Magen-Sänger Johann Michael Vogl bekannt, korrespondierte mit Mendelssohn Bartholdy, Otto Nicolai, Hector Berlioz, Schumann und Liszt, führte einen Salon, in dem die damalige geistige Elite Wiens verkehrte, wurde von Eduard Hanslick mit lobenden Worten beehrt und Berlioz lobte seine Lieder als „Meisterstücke von Humor, Phantasie und Grazie“. Und immerhin hat Püttlingen den wohl umfangreichsten Liederzyklus geschaffen: die 88 Lieder der Heimkehr aus dem „Buch der Lieder“ von Heinrich Heine. So attestiert ihm der diesbezügliche Wikipedia-Artikel immerhin auch den Status „als einer der bedeutendsten österreichischen Liedschöpfer zwischen Schubert und Brahms“.
Aus diesem Heine-Zyklus sind auf dieser CD 16 Lieder versammelt, aufgeteilt in ironische und lyrische Lieder. Und Püttlingen schafft es wirklich, Heines Ironie in Noten zu transferieren: Den deutschen Professor charakterisiert er (in Zu fragmentarisch ist Welt und Leben) durch eine trockene Fuge, den zierlichen liebenswürdigen Jüngling mit spitzer und pointierter Melodie, lustig mit vielen Trillerchen die Kritiker-Kastraten (Doch die Bewussten klagten), der Teufel kommt mit dramatischem Mollgetöse (Ich rief den Teufel, und er kam), unheimlich dröhnt die Kirchturmuhr im Klavierbass, wenn der tote Pfarrer ans Fenster pocht (Des Pfarrers Familie), und wenn Heine mahnt: Mensch, verspotte nicht den Teufel!, ist die Melodie choralgetönt. Die meisten Lieder sind im Parlando-Ton gehalten und dienen damit deutlich dem Text.
Auch die lyrischen Lieder folgen genau dem Text-Duktus, sind aber harmonisch angereichert und bisweilen recht raffiniert in der Klavierbegleitung. Deine weißen Lilienfinger ist ein dahinfließend klagendes Lied mit sehr schlichter Melodie, in das das nächstfolgende Gedicht (Hat sie sich denn nie geäußert?) eingewoben ist: Raffinös ist hier Heines Ironie umgesetzt.
Klangraffinös ist auch die Klavierbegleitung durch Hedayet Jonas Djeddikar, der wirklich alles aus den Noten herausholt, was an ironisch-lyrischer Delikatesse vorhanden ist. Aber leider singt hier kein Mann, kein Tenor oder wenigstens ein leichter, hoher Bariton, sondern ein Sopran. Caroline Jahns singt artikulationsgenau mit sehr klarer Stimme und bemüht sich wirklich um genaueste Ironie. Aber ihr klarer Sopran bleibt zu klar, zu wenig farbenreich, zu wenig geschmeidig, wird in der Höhe gerne spitz. Das nimmt den Liedern doch viel an Wirkung.
Rainer W. Janka [01.03.2018]
Anzeige
Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Johann Vesque von Püttlingen | ||
1 | Eisenbahnen | 00:02:53 |
2 | Zu fragmentarisch ist Welt und Leben (H. Heine: Die Heimkehr Nr. 58) | 00:01:45 |
3 | Gaben mir Rat und gute Lehren (H. Heine: Die Heimkehr Nr. 64) | 00:02:08 |
4 | Der Zopf op. 47 Nr. 6 | 00:03:22 |
5 | Und als ich Euch meine Schmerzen geklagt (H. Heine: Die Heimkehr Nr. 34) | 00:01:09 |
6 | Diesen liebenswürdgen Jüngling (H. Heine: Die Heimkehr Nr. 65) | 00:02:04 |
7 | Selten habt ihr mich verstanden (H. Heine: Die Heimkehr Nr. 78) | 00:02:19 |
7 | Doch die Bewussten klagten (H. Heine: Die Heimkehr Nr. 79) | |
8 | Katzennatur op. 47 Nr. 4 | 00:05:06 |
9 | Ich rief den Teufel und er kam (H. Heine: Die Heimkehr Nr. 35) | 00:02:34 |
10 | Des Pfarrers Familie op. 22 Nr. 1 (H. Heine: Die Heimkehr Nr. 35) | 00:05:15 |
11 | Mensch, verspotte nicht den Teufel (H. Heine: Die Heimkehr Nr. 36) | 00:01:52 |
12 | Ich hab euch im besten Juli verlassen (H. Heine: Die Heimkehr Nr. 67) | 00:01:58 |
13 | Prière (Les vaines tendresses) | 00:02:51 |
14 | Teurer Freund, du bist verliebt (H. Heine: Die Heimkehr Nr. 54) | 00:01:27 |
15 | Verriet mein blasses Angesicht (H. Heine: Die Heimkehr Nr. 53) | 00:01:40 |
16 | Deine weißen Lilienfinger (H. Heine: Die Heimkehr Nr. 31) | 00:03:13 |
16 | Hat sie sich denn nie geäußert (H. Heine: Die Heimkehr Nr. 32) | |
17 | Sie liebten sich beide (H. Heine: Die Heimkehr Nr. 33) | 00:01:30 |
18 | Bist du wirklich mir so feindlich (H. Heine: Die Heimkehr Nr. 76) | 00:01:04 |
19 | Teurer Freund, was soll es nützen (H. Heine: Die Heimkehr Nr. 42) | 00:01:58 |
19 | Werdet nur nicht ungeduldig (H. Heine: Die Heimkehr Nr. 43) |
Interpreten der Einspielung
- Caroline Jahns (Sopran)
- Hedayet Jonas Djeddikar (Klavier)