Bach • Goldberg Variations
Mahan Esfahani
DG 479 5929
1 CD • 79min • 2016
30.09.2016
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Klassik Heute
Empfehlung
Im Iran – so hörte ich heute Morgen – kann man verhaftet werden, wenn man zu elektronischer Musik tanzt. Das kann dem 32jährigen, aus Teheran stammenden Cembalisten Mahan Esfahani nicht passieren. Er hat sich rechtzeitig dem Cembalo zugewandt und ist seit einigen Jahren ein äußerst erfolgreicher, gelegentlich aber auch angefeindeter Interpret. Im Bereich der so genannten „Alten Musik“ sind ja immer noch gewisse ästhetische und aufführungspraktische Fraktionen unterwegs. Man kennt das von energischen Auffassungskämpfen zwischen den Vertretern gegensätzlicher Bach-Pflege im Umkreis des sensiblen Orgelwesens. Hinzu kommt, dass Esfahani nicht nur Werke der Familie Bach, von Rameau, Scarlatti, Geminiani und Byrd im Programm hat, sondern in seinen Konzerten die konservativen Abteilungen seines Publikums mit Stücken etwa von Fred Frith, Henryk Górecki oder sogar von Steve Reich konfrontiert. Am 29. Februar dieses Jahres führte dies in Köln zu einem vielbeachteten Eklat. Esfahani hatte Reichs Piano Phase in seine Werkfolge eingebaut und mit den leisen, gleichsam experimentell angeordneten Noten lautstarke Proteste ausgelöst. Eine Aufforderung aus dem Publikum, er solle gefälligst Deutsch sprechen, erhöhte schließlich das Skandal-Potenzial.
Alle Musikfreunde, die sich von Esfahani vor den lauschenden Kopf gestoßen fühlten, dürfen nun getrost und getröstet zu seiner ersten Einspielung für die Deutsche Grammophon greifen. Mit Bachs Goldberg-Variationen zerstreut dieser offenkundig „pianistisch“ bestens vor- und ausgebildete Interpret jeden Verdacht, mit dem Cembalo altertümelnd unterwegs zu sein. Jeder Takt, jede Phrase zeugt von lebendigem, atmendem, auf alle kompositorischen Angebote hellwach reagierendem Zugriff. Es handelt sich hier um eine spannende und zugleich lehrreiche Mischung aus Brillanz, tastender Beweglichkeit und gescheitem Innehalten – kurzum: Esfahanis Wanderung durch den intimen Kosmos dieser 30 Goldberg-Beleuchtungen ist in jeder Hinsicht eine Sensation im Bereich einer Cembalo-Philosophie, die dem Instrument eine gleichsam zeitlose Heutigkeit sichert. Der wunderbare, vielzüngige Klang einer Johann Heinrich Harraß-Kopie von Huw Saunders ist die Grundlage für Esfahanis fesselnde Bach-Mission. Im Vergleich zu den mir bekannten Cembalo-Einspielungen bedeutet diese auch klangtechnisch optimale Produktion eine willkommene Veränderung meiner imaginären Rangliste: diese Goldberg-Variationen setzen sich mit Mahan Esfahani an die Spitze der Cembalo-Tabelle!
Vergleichseinspielungen: Kirkpatrick (1952 – Music & Arts CD 976, Archiv Produktion LP 2547 050), Koopman (Erato ECD 75472), Ross (EMI CDC 7 49058 2), Jarrett (ECM 839 622-2), Dreyfus (Denon CO-73677), Verlet (Philips LP 6768074), Le Gaillard (Le chant du monde LP LDX 78.788/89), Cole (Virgin VC 7 91444-2), Gilbert (Harmonia mundi France LP HMC 1240), Payne (BIS CD-519), Leonhardt (Teldec LP 6.41198 AQ), van Asperen (EMI CDC 7 54209 2), Landowska (RCA GD 60919, 1933 – EMI LP 2C 051-43371, bzw. Biddukph LHW 031), Belder (Brilliant classics 94621), Curtis (EMI 555-763062-2), Jacottet (Intercord 820763), Pinnock (DG 415130-2).
Peter Cossé † [30.09.2016]
Anzeige
Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Johann Sebastian Bach | ||
1 | Goldberg-Variationen BWV 988 | 01:18:38 |
Interpreten der Einspielung
- Mahan Esfahani (Cembalo)