Dvořák • Martinů
BIS 2157
1 CD/SACD stereo/surround • 63min • 2014
05.04.2016
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Der Schweizer Virtuose Christian Poltéra gehört heute zu den führenden Cellisten und ist sozusagen das „Flaggschiff“ seines Instruments beim audiophilen schwedischen Label BIS. Und der ebenso dynamische wie detailbesessene Däne Thomas Dausgaard erfüllt für die Schweden eine ähnliche Alpha-Funktion als Dirigent. Eine fulminante Kombination, die hier mit dem Deutschen Symphonie-Orchester in Berlin antritt, und gleich der Anfang des immer wieder grandiosen Dvorák-Konzerts macht klar, dass hier sowohl entschlossen als auch mit dem Ringen um dichtesten Ausdruck musiziert wird. Dausgaard lässt die Latte hoch legen. Und Poltéra kann auf dem Instrument fast alles, kann sich mit den großen Legenden der Vorgängergenerationen messen, könnte sich gewiss – wie so gut wie alle seine Kollegen – auch noch einmal János Starkers Tempo-continuo-Konsequenz zum Vorbild nehmen (man höre nur beispielsweise das unwiderstehlich dargebotene Finale des herrlichen Konzerts von Peter Mennin an, wo ein Momentum der Bewegung mitreißt, das über alle manuellen Schwierigkeiten triumphiert und technisch bedingte Verzögerungen etwa durch unbequem im Tempo auszuführende Sprünge und Saitenwechsel einfach nicht zulässt), um sich selbst einen letzten, radikalen Schliff zu verpassen, überhaupt auch noch durchweg sich von manchen liebgewonnenen Traditionen der nicht wirklich dem Notentext hinsichtlich Dynamik und Rubato entsprechenden Spielweisen zu befreien, und wir wären dauerhaft im Olymp. Nun denn, so sind wir zumindest oft in der Nähe des für die meisten unerreichbar erscheinenden Gipfelglücks.
Insgesamt gilt hier für Solist und Dirigent, besonders jedoch für den Solisten: die schnellen Tempi sind klarer geformt und auch in ihrem Wiedererkennungswert entschiedener verwirklicht als die langsameren, bei denen zudem, gerade auch bei dem notorisch etwas unruhigen Dausgaard, stets die Tendenz besteht, sie zu zügig zu nehmen. Das ist, so üblich es auch sein mag, ganz besonders im Mittelsatz des Dvorák-Konzerts der Fall. Was sozusagen „alle machen“, ist noch lange nicht richtig. Der Zusatz ‚ma non troppo’ zum ‚Adagio’ darf eben nicht zu einem de facto in Vierteln pulsierenden Andante- Charakter führen, sondern bezieht sich auf die Achtel, die man beim hier genommenen Tempo nicht mehr empfindet: der Achtel-Grundpuls ist von Dvorák nur minimal geschwinder metronomisiert als die Viertel des Finales! Dann wird in diesem Mittelsatz das più mosso viel zu früh, schon gleich nach dem ersten Fortissimo des Orchesters, eingeführt, worauf es dort, wo der Komponist es wünscht, zu keiner weiteren spürbaren Beschleunigung mehr kommt. Doch ist der Umgang mit dem Tempo rubato überhaupt oft nicht glücklich, indem vor allem mehrere Stringendi zu schnell das Zieltempo erreichen, danach stagnieren und dann zu früh das daraus resultierende Ritardando einleiten. Lieber nicht erwähnt hätte ich die Tempo-Inkonsistenzen im Finale, wo die breiteren Abschnitte teils viel zu flüchtig kommen, und wo oftmals das neue langsamere Tempo nicht sofort getroffen wird, also der Kontrast eingeebnet wird, da man einen von Dvorák nicht intendierten Übergang einbaut.
Wenn wir schon bei Details sind, möchte ich einmal grundsätzlich feststellen, dass der Paukenwirbel am Schluss des Kopfsatzes ohne Unterbrechung in den Schluss-Viertelschlag überzuführen hat, letzterer also ein organisch gewonnenes Resultat des Crescendos sein sollte, und eben nicht nach ausholendem Abreißen des Crescendos ein isolierter, plötzlicher Haudrauf-Effekt Oder dass der herrliche dreistimmige Choralsatz der Hörner im Mittelsatz einer viel bewussteren Herausarbeitung der Gewichtung der Stimmführung bedarf: das Wesentliche führe, übernehme, und das Unwesentliche dränge sich nicht redundant in den Vordergrund! Das sei hier zumal deshalb erwähnt, weil Dausgaard sich eigentlich wirklich um eine Verdeutlichung der kontrapunktischen Dimension des Tonsatzes bemüht, was teils strukturell sehr überzeugende Ergebnisse hervorbringt.
Gekoppelt ist Dvoráks zeitloses Meisterwerk, dieses Cellokonzert schlechthin in der Geschichte der Gattung, mit dem wunderbaren, Pierre Fournier gewidmeten ersten Konzert (von zweien) von seinem Landsmann Bohuslav Martinu, das 1930 in erster Fassung entstand, 1939 eine grundlegende Überarbeitung und 1955 eine weitere Revision erfuhr. Hier wird die – gelungenste! – Fassung letzter Hand dargeboten, die mit anregend synkopischen Rhythmen, inspiriert blühender modaler Melodik, ungewöhnlichen Instrumentalkombinationen und auch mit der für Martinu so typischen figurativen Geschäftigkeit besticht. Dieses Konzert, das im Konzertsaal stellenweise haarige Balanceprobleme offeriert, müsste öfter gespielt werden. Auch hier: Poltéra ist potenziell zu allem imstande, es steht ihm technisch nichts im Wege, und sein Ton ist gerade in den lyrischen Passagen – die er des öfteren nicht so genießt und auskostet, wie sich dies auch ohne jede billige Sentimentalität doch so wunderbar anböte – besonders in mancher introvertierten Wendung unglaublich zauberhaft. Die Hektik am Schluss des Kopfsatzes ist übertrieben, der langsame Mittelsatz mit seiner wunderbar innigen, modal choralhaften Melodik hätte noch mehr innere (und in der Folge wohl auch äußere!) Ruhe verdient. Trotzdem: das Ergebnis ist letztlich überdurchschnittlich nicht nur den Solisten, sondern auch das Orchesterspiel betreffend, wenn wir von den schnell aufeinanderfolgenden dichteren Passagen absehen, wo zwar korrekt Noten exerziert werden, jedoch offenkundig wird, dass man sich musikalisch in Fremdland befindet und auch gar nicht dazu kommt, so etwas wie Balance noch im Sinn zu haben – jedoch, dafür bräuchte man schlicht mehr Einstudierungszeit, diese Mängel sind den Konditionen des Betriebs geschuldet.
Für mich unlösbar bleibt das Problem der Balance zwischen Solist und Orchester auf der Aufnahme, obwohl es von der BIS-Tontechnik räumlich sehr raffiniert gelöst wurde. Man hört meist fast alles, aber in welchem dynamischen Verhältnis…? Indem man vor allem alles hörbar macht, was der Cellist an Nuancen zu bieten hat, sind die Dialoge in ihrer realen Gegenüberstellung entstellt, und ganz besonders die Holzbläser kommen zu schwach in Bezug auf das, was der Solist aussagt – also natürlich vor allem die vielen Flötensoli bei Dvorák, und dann immer wieder vieles, vieles weitere! Man kann oft kaum nachvollziehen, ob der Cellist sich darauf einlässt, für einen Moment zu begleiten, oder ob er dann auf seiner Führungsposition gegen die Forderung des Moments beharrt. Beim heutigen Stand der Technik fände ich es großartig, wenn man uns zwei Abmischungen auf 2 CDs anböte: einmal den leicht frisierten ‚real sound’, der das Cello nur dezent anheben würde, und einmal die ‚listen to the soloist’-Version, wo das Orchester wie üblich in den Hintergrund versetzt ist. Was wäre das ein reizvoller Vergleich, der auch den Sinn der Hörer für die Wirklichkeit des Konzertsaals schärfen könnte! Gerade las ich von einem Kollegen, der in Bezug auf eine etwas seifige nordische neue Musik von „klanglicher Apartheit“ schrieb. Was das Verhältnis zwischen Solist und Orchestersolisten in Solokonzerten betrifft, müsste auf Tonträgern traditionell von „klanglicher Apartheid“ die Rede sein – und das ist wie in der Musik: Wir verändern einen Buchstaben, und wir verändern den ganzen Sinn.
Christoph Schlüren [05.04.2016]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
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CD/SACD 1 | ||
Antonín Dvořák | ||
1 | Konzert h-Moll op. 104 für Violoncello und Orchester | 00:37:35 |
Bohuslav Martinů | ||
4 | Violoncellokonzert Nr. 1 D-Dur | 00:24:50 |
Interpreten der Einspielung
- Christian Poltéra (Violoncello)
- Deutsches Symphonie-Orchester Berlin (Orchester)
- Thomas Dausgaard (Dirigent)