cpo 777 960-2
2 CD • 2h 13min • 2013
30.10.2015
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Auf deutschen Bühnen begegnet man Riccardo Zandonais Francesca da Rimini (1914) relativ selten, auf der internationalen Szene dagegen ist dieser letzte große Schwanengesang des italienischen Melodramma nach wie vor ein beliebtes Vehikel für arrivierte Primadonnen. Die Oper basiert auf einem heute etwas schwülstig anmutenden Drama Gabriele d’Annunzios (1901), das durch Eleonora Duse nicht nur in Italien, sondern auf Tourneen auch international bekannt gemacht wurde. Der Verleger Tito Ricordi witterte deshalb das große Operngeschäft und beauftragte den aufstrebenden Zandonai, einen Schüler Pietro Mascagnis, mit der Vertonung. Allerdings hatte er die anstehenden Probleme mit dem selbstherrlichen Autor nicht vorausgesehen. D’Annunzio, stets in Geldnöten, verlangte 25 000 Goldlire für die Überlassung der Rechte, während der Komponist mit einem Bruchteil dieser Summe (nämlich 3000 Goldlire) abgefertigt wurde.
Grundlage der Handlung ist eine Episode aus dem 5. Gesang von Dantes „Inferno“, die vorher schon andere Dichter und Komponisten (darunter Tschaikowsky und Rachmaninow) inspiriert hatte. Francesca, die Tochter des Guido da Polenta aus Ravenna, wird aus politischen Gründen mit dem verkrüppelten Gianciotto Malatesta aus Rimini verheiratet. Als Brautwerber fungiert dessen jüngerer Bruder Paolo, den man „den Schönen“ nennt, und es wird alles getan, Francesca in dem Glauben zu lassen, dass er der Bräutigam sei. Obwohl schrecklich getäuscht, fügt sich Francesca in die Ehe. Doch die zunächst uneingestandene Liebe zu Paolo steigert sich zu stürmischster Leidenschaft. Der einäugige Malatestino, jüngster Bruder Gianciottos und selbst in heimlicher Liebe zu Francesca entbrannt, verrät die beiden. Um den Ehebruch zu sühnen, ermordet der Betrogene Frau und Bruder.
Dieses „Poem aus Blut und Wollust“, wie es der Dichter selbst nannte, war ein gefundenes Fressen für einen aufstrebenden Komponisten, der aus der Schule des Verismo kam und die höheren Weihen einer großen romantischen Oper anstrebte. Schon als 16jähriger hatte der im Todesjahr Wagners geborene Trentiner Zandonai Dantes Gesang zu einer Kantate für Tenor und Orchester verarbeitet. D′Annunzios Drama bot dem fortgeschrittenen Musiker, der mit der nachveristischen Conchita (nach einem Roman von Pierre Louyis) eine hervorragende Talentprobe abgelegt hatte, ein weites und dankbares Operationsfeld. Die artifizielle Sprache, die mit archaisierendem Vokabular die Atmosphäre des 13. Jahrhunderts zu beschwören versuchte und in ihrer blumigen Verschnörkeltheit gleichzeitig dem Jugendstil verpflichtet war, entsprach Zandonai mit der Verwendung alter Instrumente (Laute, Diskantschalmeien und Viola pomposa) und einem Orchestersatz, der seine Vorbilder bei Wagner und Debussy nicht verleugnete, ohne der Gefahr des Eklektizismus zu erliegen. Der musikalische Höhepunkt – und ein Gipfelpunkt der italienischen Oper überhaupt – ist das etwa 20minütige Duett des 3. Aktes, in dem die Liebenden bei der gemeinsamen Lektüre der Geschichte von Lanzelot und Ginevra zusammenfinden.
Es gibt einige (überwiegend Live-)Aufnahmen dieses Werkes, die von großen Primadonnen der Vergangenheit getragen werden, von Maria Caniglia, Marcella Pobbe, Magda Olivero, Leyla Gencer bis zu Ilva Ligabue, Raina Kabaivanska und Renata Scotto.
Trotz dieser prominenten Konkurrenz nimmt die Freiburger Aufnahme in der Diskographie des Werkes eine Sonderstellung ein, denn der Dirigent Fabrice Bollon macht deutlich, dass Zandonais „Francesca“ eine italienische Antwort auf Debussys Pelléas et Mélisande ist. Da ist nichts von postveristischer Effekthascherei und praefaschistischem Getöse zu vernehmen (wie in manchen anderen Einspielungen), die Partitur entfaltet selbst in den heroischen und kriegerischen Passagen impressionistischen Zauber, und das Freiburger Orchester musiziert mit äußerster Delikatesse. Ähnliches ist auch den sängerischen Leistungen zu attestieren. Christina Vasileva lässt ihre großen Vorgängerinnen mit einem intimen Rollenporträt, das sich durch berückende Piano-Momente auszeichnet, bald vergessen. Der Deutsch-Brasilianer Martin Mühle bringt für den schönen Paolo die geforderte Poesie und Passion auf, seine schurkischen Brüder sind bei dem Bariton Juan Orozco und dem Charaktertenor Adriano Graziani gut aufgehoben. Francescas Begleiterinnen bilden ein homogenes Ensemble, besonders prägt sich die Mezzosopranistin Victória Mester als Sklavin Smaragdi ein.
In summa: Ein Ruhmesblatt für das Freiburger Theater und für mich die definitive Referenzeinspielung dieser neoromantischen Oper.
Ekkehard Pluta [30.10.2015]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Riccardo Zandonai | ||
1 | Francesca da Rimini | 02:13:26 |
Interpreten der Einspielung
- Christina Vasileva (Francesca da Rimini - Sopran)
- Martin Mühle (Paolo il Bello - Tenor)
- Juan Orozco (Giovanni lo Sciancato - Bariton)
- Adriano Graziani (Malatestino dall'Occhio - Tenor)
- Kim-Lillian Strebel (Garsenda - Sopran)
- Bénédicte Tauran (Biancofiore - Sopran)
- Sally Wilson (Adonella - Sopran)
- Marija Jokovic (Altichiara - Alt)
- Viktória Mester (Samaritana - Mezzosopran)
- Levente Molnár (Ostasio - Baß)
- Aaron Judisch (Ser Toldo Berardengo - Tenor)
- Alejandro Lárraga Schleske (Ser Toldo Berardengo - Tenor)
- Se Hun Jin (Voce del Prigioniero - Tenor)
- Freiburger Kammerchor (Chor)
- Opernchor des Theater Freiburg (Chor)
- Vokalensemble der Hochschule für Musik Freiburg (Chor)
- Philharmonisches Orchester Freiburg (Orchester)
- Fabrice Bollon (Dirigent)