Grieg
Lyric Pieces
ATMA Classique ACD2 2696
1 CD • 68min • 2014
13.07.2015
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Jeder kennt es wohl: ein Titel, ein Werk kommt zur Sprache. Es ist auf einem Programm angekündigt – und man erinnert sich wie unter schöner Zwanghaftigkeit an zurückliegende musikalische Erlebnisse. An Erfahrungen unter glücklichen Umständen mit hohem Unvergleichlichkeitsfaktor, welche freilich immer wieder zum Vergleich herangezogen werden… So erging es mir, als Janina Fialkowskas Auswahl aus den 10 Bänden der Lyrischen Stücke vor mir lag. Von den unten angegebenen Gesamtaufnahmen hatte mich über all die LP- und CD-Jahre keine wirklich beeindruckt, schon gar nicht zufriedengestellt. Erst die Auswahl-Publikationen mit dem forsch, gewissermaßen magyarisch-nordisch auftretenden Zoltán Kocsis, mit dem düster, nachdenklich-explosiven, innig den depressiven Charakter der Stücke ein- und ausatmenden Svjatoslav Richter und dann vor allen anderen die edel, rund und atmosphärisch vielfältig ausgemalten und mit beherrschtem Leben erfüllten Einspielungen mit Emil Gilels haben mir gezeigt, welch zarte, kühne, verschmitzte, märchenhafte und bäuerlich ungeschminkte Kunst in einer Miniaturen-Sammlung gebannt ist, die nach dem Zweiten Weltkrieg vor allem im deutschen Sprach- und Musikraum als Salonmusik, als zweit- und drittrangig unter die kritisch-feuilletonistischen Räder kam.
Janina Fialkowski mit ihrer klug und belesen den Gesamtkomplex der Lyrischen Stücke im wahrsten Sinne des klavieristischen Wortes abtastenden Stückselektion erreicht im erzählerischen, im tänzerischen und im sozusagen folkloristischen Bereich der 25 ausgewählten Nummern weder die hingebungsvolle Intensität und den vollen, urgesunden Klavierklang eines Emil Gilels noch die in den schnelllebigen Themen von Kocsis vorgegebenen Tourenzahlen. Verhältnismäßig verhalten, um nicht zu sagen in bewegter Behäbigkeit ziehen die Trolle vorüber (op. 54,3). Immerhin nimmt der Puck (op.71,3) gehörig Fahrt auf, aber da mangelt es dem bremsenden Einschub eines „fremden Tons“ an Überraschung, an Kälte. Dem „Hochzeitstag auf Troldhaugen“ (op. 65,6) fehlt es eingangs ein wenig an rhythmischer Prägnanz – so wie überhaupt eine Tendenz zur Flüchtigkeit in der Behandlung vitaler, mechanisch an sich attraktiver Passagen zu bemerken ist.
Wenn ich von Belesenheit in Bezug auf die von op. 12,1 bis op. 71,7 übergreifende Gesamtdramaturgie gesprochen habe, dann bezieht sich dies auf die von vielen Studenten, ja sogar von lehrenden Professoren zuweilen übersehene Tatsache, dass das erste Stück op. 12 – eine gemächliche, wie in sich ruhende „Arietta“ – und das letzte Stück op. 71 thematisch in enger Verbindung stehen. Nun am Ende dieses „Lyrischen Tage- und Jahrbuchs“ wagt es Grieg, der rhythmisch unscheinbaren „Arietta“ op. 12,1 in den „Nachklängen“ eine Wendung hin ins tänzerisch Melancholische zu verleihen. Freilich mit beglückendem Unterton, ähnlich etwa dem Dezember-Stück aus Tschaikowskys Jahreszeiten. Janina Fialkowska zeigt sich als feinnervige Erzählerin, wenn auch ganz nicht mit jenem Schmelz, mit jener leicht bewegten, zart getupften Andacht wie sie Emil Gilels auf seiner Suche nach einem wahrhaften Grieg-Ton ganz offenbar gegeben war.
Gesamtaufnahmen: Oppitz (RCA/BMG 09026 61568 2), Lagerspetz (Finlandia 0630-14907-2), Henschel (Arte Nova 74321 63647 -2), Adni (EMI LP 1 C 147-05 702/05), Ciccolini (Cascavelle VEL 3083); Auswahlaufnahmen: Harada (audite SACD 92.555), Gieseking (Line 24342 01), Katsaris (Piano 21 028-A, Teldec LP 6.42925 AZ), Gawrilov (DG 437 522-2), Richter (9.11.1993 Budapest-Edition nka BMC 171), Gilels (DG 419 749-2), Levi (Edelweiss ED 1005), Ciccolini (EMI 50999 685824 2 5 CD 13), Kocsis (Philips 6514 115), Steen-Nökleberg (Naxos 8.553394), Andsnes (EMI 557296 2), Pletnev (DG 459 671-2)
Peter Cossé † [13.07.2015]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Edvard Grieg | ||
1 | Arietta op. 12 Nr. 1 | 00:01:22 |
2 | Volkstümliche Weise op. 12 Nr. 5 | 00:01:26 |
3 | Berceuse op. 38 Nr. 1 | 00:03:07 |
4 | Walzer op. 38 Nr. 7 | 00:00:59 |
5 | Kanon op. 38 Nr. 8 | 00:04:49 |
6 | Schmetterling op. 43 Nr. 1 | 00:01:33 |
7 | Vöglein op. 43 Nr. 4 | 00:01:40 |
8 | Albumblatt op. 47 Nr. 2 | 00:04:18 |
9 | Melodie op. 47 Nr. 3 | 00:03:01 |
10 | Norwegischer Tanz op. 47 Nr. 4 | 00:01:16 |
11 | Zug der Zwerge op. 54 Nr. 3 | 00:03:37 |
12 | Notturno op. 54 Nr. 4 | 00:03:55 |
13 | Gade op. 57 Nr. 2 | 00:03:03 |
14 | Sylphe op. 62 Nr. 1 | 00:01:26 |
15 | Bächlein op. 62 Nr. 4 | 00:01:27 |
16 | Heimwärts op. 62 Nr. 6 | 00:02:50 |
17 | Salon op. 65 Nr. 4 | 00:01:58 |
18 | Hochzeitstag auf Troldhaugen op. 65 Nr. 6 | 00:06:32 |
19 | Zu deinen Füßen op. 68 Nr. 3 | 00:03:19 |
20 | Abend in den Bergen op. 68 Nr. 4 | 00:03:28 |
21 | An der Wiege op. 68 Nr. 5 | 00:02:30 |
22 | Once Upon a Time op. 71 Nr. 1 | 00:03:50 |
23 | Sommerabend op. 71 Nr. 2 | 00:02:24 |
24 | Kobold op. 71 Nr. 3 | 00:01:49 |
25 | Erinnerungen op. 71 Nr. 7 | 00:01:44 |
Interpreten der Einspielung
- Janina Fialkowska (Klavier)