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Besprechung CD

Christoph Graupner Concerti e Musica di Tavola

cpo 777 645-2

1 CD • 67min • 2010

21.05.2015

Künstlerische Qualität:
Künstlerische Qualität: 8
Klangqualität:
Klangqualität: 7
Gesamteindruck:
Gesamteindruck: 9

Von 1709 bis zu seinem Tod stand Christoph Graupner (1683-1760) im Dienst des Landgrafen Ernst Ludwig von Hessen-Darmstadt, seit 1711 in leitender Funktion als Hofkapellmeister. 1722 bot ihm die Stadt Leipzig das Thomaskantorat an, Ernst Ludwig indessen mochte ihn nicht ziehen lassen und hielt ihn unter Aufbesserung seines Verdienstes in seiner südhessischen Residenz. Nach Graupners Tod erkämpfte sich seine Familie in einem langwierigen Prozess die Herausgabe seiner kompositorischen Hinterlassenschaft aus der landesherrlichen Bibliothek; dadurch entgingen die Noten der Vernichtung durch „Aufräumaktionen“, in denen solche fürstlichen Bestände von aus der Mode gekommener Musik gereinigt wurden, und Graupners umfangreiches Werk befindet sich heute nahezu vollständig im Bestand der Universitäts- und Landesbibliothek Darmstadt, zu großen Teilen allerdings noch unveröffentlicht.

Ernst Ludwig war ein eifriger Liebhaber der Oper, er hat Graupner vermutlich bei einem Besuch in Hamburg, wo dieser seit 1705 als Cembalist im Orchester der Oper am Gänsemarkt saß, kennengelernt; möglicherweise gar in einer Oper von Graupners Komposition, denn der Fürst holte den mit reicher Fantasie begabten Komponisten umgehend in seine Dienste nach Darmstadt. Auch dort wurde neben dem üblichen Betrieb der Hofmusik (Kirchenmusik und Musik für offizielle wie private fürstliche Anlässe) ein eigenes Hoftheater mit Opernbetrieb unterhalten. Gegen 1720 strapazierten derlei kostspielige Unternehmungen die finanziellen Ressourcen der Landgrafschaft allerdings dermaßen, dass der Fürst sich zwischen seiner Leidenschaft für die Jagd und der für die Oper zu entscheiden hatte und – man mag es ihm aus dem Horizont der Zeit kaum verdenken – das Freiluftvergnügen der Jagd wählte. Darin liegt vielleicht auch ein Grund, dass Graupner das Werben des Leipziger Rats willkommen war, auf der Kantorenstelle der Thomasschule Nachfolger von Johann Kuhnau zu werden, bei dem er einst als Thomaner das erste Rüstzeug als Musiker erworben hatte. Nun ließ ihn aber sein Fürst nicht gehen und konnte ihm auch ohne Opernhaus ausreichende Gelegenheit bieten, seine Fantasie mit einem offensichtlich hochkarätigen Musikerensemble zu entfalten – die Werke dieser CD stellen das eindrucksvoll unter Beweis.

Vier Concerti für abwechslungsreiche Besetzungen (Chalumeau, Fagott, Cello; Oboe d’amore; Violine; Fagott als Solisten nebst Streichern und dem von Graupner hartnäckig mit „Cembalo“ bezeichneten Basso continuo) bilden mit einer höchst anmutigen Tafelmusik (deren „Entrata“ gelehrt die Tradition der Sonata da chiesa zitiert) das Programm dieser CD; in dieser Tafelmusik kommen übrigens auch Blockflöten zum Einsatz, die zwar in der Instrumentenliste stehen, in den Besetzungsangaben der Stücke hingegen nicht auftauchen. Die Concerti begeistern durch Vielfalt und Raffinesse der zeitgenössischen Bezüge: So merkt man dem Violinkonzert deutlich an, wie genau Graupner das Vorbild Vivaldis studiert hat und dabei nicht stehen bleibt, sondern etwas ganz eigenes daraus macht.

Shalev Ad-El und seine Accademia Daniel sind begeisterte Dolmetscher dieser Musik, sie wissen ihren Enthusiasmus mit Temperament und spürbarer Lust zu vermitteln und schießen doch nie in vermeintlichem Drang, sich als Interpreten besonders zu profilieren, über das Ziel hinaus. Ob die musikalischen Entscheidungen freilich immer adäquat waren, wage ich zu bezweifeln: Beispielsweise, ob angesichts der Tatsache, dass der Komponist die Bezeichnung „Basso continuo“ durch „Cembalo“ zu ersetzen pflegte, überhaupt ein Kontrabass hätte zum Einsatz kommen müssen. Man sollte einem geschätzten Kollegen gelegentlich die Freude der Teilnahme an einem schönen Projekt verwehren, wenn der Charme und die Originalität der Musik besser ins Licht gerückt würde durch den Verzicht auf ein kräftiges Streichfundament (das dann auch noch von der Tontechnik unverhältnismäßig stark hervorgehoben wird). Von der Raumakustik des Gemeindesaals der Evangelisch-lutherischen Kirche zu Chemnitz-Hilbersdorf, für dessen Überlassung der Gemeinde und ihrem Kantor im Beiheft Dank ausgesprochen wird, ist übrigens in der Aufnahme nichts zu spüren: Das musikalische Geschehen vollzieht sich so frontal wie das Bühnengeschehen in einem Kasperletheater, und wer als Solist gerade etwas zu sagen hat, darf ein Bein über den Bühnenrand werfen. Insgesamt kann diese CD aber angesichts des vielfältigen Programms, das einen hochkarätigen Musiker porträtiert, und der spürbaren Begeisterung der Interpreten dafür als unbedingter Gewinn für das spätbarocke Repertoire auf CD gelten.

Leider sind die Liebhaber der Alten Musik im großen und ganzen friedliche Leute, sonst würden sie nach Art des Kleinen Häwelmanns „Mehr, mehr!“ schreien: Zu wünschen wäre es – zur Ehre Graupners und zur Bereicherung der Diskografie der Musik aus der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts. So beschert der begeisterte Einsatz der Accademia Daniel für einen heute unterschätzten Bach-Zeitgenossen dieser Produktion in der Gesamtnote noch einen Extrapunkt, er soll sie trotz ihrer kleinen Schwächen, die mehrheitlich nicht in der Verantwortung der Musiker liegen, allen Freunden der Musik dieser Epoche wärmstens ans Herz legen.

Detmar Huchting [21.05.2015]

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Komponisten und Werke der Einspielung

Tr.Komponist/Werkhh:mm:ss
CD/SACD 1
Christoph Graupner
1Concerto C-Dur GWV 306 00:10:14
4Entrata per la Musica di Tavola g-Moll GWV 468 00:19:25
12Concerto C-Dur GWV 302 00:10:20
15Concerto A-Dur GWV 337 00:15:40
18Concerto C-Dur GWV 301 00:11:19

Interpreten der Einspielung

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