Music of the North
gutingi 253
1 CD • 63min • 2014
04.02.2015
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Als ich Lydia Maria Baders CD mit dem Titel „Music oft he North“ in Empfang nahm, hatte ich gerade von einer jungen Pianistin erfahren, sie sei als musizierender Gast auf ein Kreuzfahrtschiff geladen worden, dessen Reise Ende Juli von Hamburg aus in den skandinavischen Norden gehen soll. Und ich musste auch an meine journalistischen Besuche einiger Festivals auf norwegischen und finnischen Boden denken – so etwa in jenes in Risör unter der Leitung des Pianisten Leif Ove Andsnes oder auch jenes auf einigen der zahlreichen Lofoten-Inseln, dessen künstlerischer Leiter, der Geiger Arvid Engegard, einige Jahre als Konzertmeister der Camerata Salzburg auf österreichischem Boden für sein Heimatland zu werben verstand. Die skandinavischen Länder – nicht ohne politisch-gesellschaftlichen Probleme wie man weiß – geben in vielen Bereichen den Ton an, vor allem aber im Bereich der Musik scheinen sie eine gute Ausgangsbasis für komponierende und musizierende, aber auch organisatorische Talente zu sein. Und auch die Werke von Sibelius haben in den letzten 10 bis 20 Jahren auf dem Kontinent spürbar günstigen Widerhall gefunden. Die seinerseits so pointiert formulierte, aber verhehrend wirkende Adorno-Schelte ist inzwischen Feuilleton-Geschichte. Sibelius‘ Sinfonien, manches aus seinem Theatermusik-Repertoire, einige der sinfonischen Dichtungen sind dem Publikum, den Tonträgerproduzenten und den Veranstaltern längst willkommen – das von jeher beliebte Violinkonzert und Der Schwan von Tuonela haben sozusagen akustischen Begleitschutz bekommen.
Unter diesen – knapp skizzierten – literarischen und musiksoziologischen Bedingungen ist der 34jährigen, aus Bayern stammenden Pianistin Lydia Maria Bader ein konstruktiver Beitrag hinsichtlich der nordischen Perspektiverweiterung zu danken. Ihr Programm folgt den Küstenlinien der arktischen Zone und jener rund um den Ostseeraum. Es konfrontiert den Hörer mit der verhältnismäßig oft beachteten Grieg-Sonate, es erinnert an den immer wieder unterschätzten dänischen Meister Carl Nielsen, es rückt den äußerst „fruchtbaren“ Klaviermusikautoren Sibelius ins rechte Licht – und es reflektiert mit Stücken von Erkki-Sven Tüür, Arvo Pärt und Rihards Dubra die gegenwärtige Musikszene im Umfeld der baltischen Staaten.
Die fünf Klavierstücke von Nielsen mit ihren volkstümlichen, kantigen, launigen und duftigen Elementen nutzt die Interpretin zu motorisch und atmosphärisch klärenden Wechselspielen, diskret in den eher indirekten Beleuchtungen, kernig im Zugriff, wenn es gilt, konkretere kompositorische Gedanken umzusetzen.
Im Verlauf der drei Kyllikki-Stücke von Sibelius bewegt sich Lydia Maria Bader mit ihrem realistischen, auf den Zauber von Zwischentönen und -farben weitgehend verzichtenden Vortrag tendenziell auf der Linie der gleichsam permafrostigen, klanglich kargen Glenn Gould-Einspielung. Mit dieser den literarischen Anforderungen flexibel „antwortenden“ Gangart erzielt sie meiner Ansicht nach überzeugende Ergebnisse im Bereich der dreisätzigen, durchaus klavieristisch erdachten Tüür-Sonate. In den beiden Pärt-Passagen vermisse ich ein Mehr an Anschlagsgeduld (Alina) und klanglicher Ausstufung – ein Mangel, der wohl auch der insgesamt etwas trockenen, räumlich beengenden Klangorganisation zurückzuführen ist.
Mit der anspruchsvollen e-Moll-Sonate von Grieg trifft Lydia Maria Bader auf prominente Konkurrenz. Und da befindet sich allein schon im Hinblick auf die Philips-Aufnahmetechnik der ungarische Pianist Zoltán Kocsis im Vorteil. Zudem ist es ihm gegeben, die großen melodischen Linien und Leidenschaften, im Folgenden auch die tänzerischen Regungen und Zuckungen plastischer auszuformen. Wenn es also einem nordisch infizierten Musikfreund nur um die Grieg-Sonate geht, dann empfehle ich Kocsis – und des Weiteren die Aufnahmen mit Pletnev und Ciccolini. Für eine Spurensuche durch die skandinavische Musiklandschaft ist Lydia Maria Baders gutingi-Projekt allemal geeignet.
Vergleichseinspielungen: Grieg: Gould (CBS LP 73 178, Sony SM2K 52654), Estrin ( Connoisseur Society LP CSQ 2060), Bonatta (Astrée E 8754), Drenikov (Pierre Vérany PV.791012), Havlikova (Opus LP 9111 0223), Weisbrod (Tudor 773), Kocsis (Philips LP 6514 115, Philips 446 192-2), Cherkassky (Nimbus Records NI 5090), Andsnes (Virgin VC 7 59300 2), Oppitz (RCA/BMG 09026 61569 2), Giltburg (Orchid classics 100035), Vodenicharov (Etcetera KTC 1172), de Larrocha (Decca LP 6.42253 AW), Marciano (Carofono LP LPC 022), Steen-Nokleberg (Naxos 8.550881), Pletnev (DG 459 671-2), Katin (Olympia OCD), Ciccolini (EMI 50999 685824 2 5 /CD 12); Sibelius: Gould (CBS LP 73178, Sony SM2K 52654).
Peter Cossé † [04.02.2015]
Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Carl Nielsen | ||
1 | Im Volkston op. 3 Nr. 1 | 00:02:50 |
2 | Humoreske op. 3 Nr. 2 | 00:01:46 |
3 | Arabeske op. 3 Nr. 3 | 00:01:12 |
4 | Mignon op. 3 Nr. 4 | 00:00:42 |
5 | Elfentanz op. 3 Nr. 5 | 00:01:34 |
Jean Sibelius | ||
6 | Kyllikki op. 41 (Drei lyrische Stücke) | 00:10:54 |
Erkki-Sven Tüür | ||
9 | Klaviersonate | 00:13:50 |
Arvo Pärt | ||
12 | Variationen zur Gesundung von Arinuschka | 00:04:21 |
13 | Für Alina für Klavier | 00:02:14 |
Edvard Grieg | ||
14 | Klaviersonate e-Moll op. 7 | 00:18:40 |
Rihards Dubra | ||
18 | Etude | 00:04:21 |
Interpreten der Einspielung
- Lydia Maria Bader (Klavier)