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Besprechung CD

Œuvres pour La Main Gauche Anthology - Volume 4

Ad Vitam Records AV 140315

1 CD • 74min • 2013

01.10.2014

Künstlerische Qualität:
Künstlerische Qualität: 10
Klangqualität:
Klangqualität: 10
Gesamteindruck:
Gesamteindruck: 10

Klassik Heute
Empfehlung

Der bereits mit zahlreichen Preisen ausgezeichnete junge französische Pianist Maxime Zecchini startete 2012 eine weltweit einzigartige, bislang drei Alben umfassende CD-Anthologie von Klavierwerken für die linke Hand. Setzten die ersten drei Folgen den Schwerpunkt auf Solowerke, so erscheinen nun als bisheriger Höhepunkt der Serie die drei wohl bedeutendsten konzertanten Originalkompositionen: Ravels D-Dur-Konzert, Prokofiews 4. Klavierkonzert sowie die selten zu hörenden Diversions von Benjamin Britten.

Die Musikwelt verdankt den Umstand ihrer Entstehung einem einzigen Mann: dem österreichischen Pianisten Paul Wittgenstein. Er entstammte einer musikbegeisterten Wiener Industriellenfamilie (sein Bruder Ludwig war der bekannte Philosoph). Sein Debüt 1913 im Wiener Musikverein wurde von der Presse sehr wohlwollend aufgenommen. Wittgensteins Karriere als Pianist wurde jedoch vom Ausbruch des Ersten Weltkriegs (und der damit verbundenen Einberufung) jäh unterbrochen. Bei einem Angriff in Polen wurde er verwundet, verlor seinen rechten Arm und kam in russische Kriegsgefangenschaft. Über ein Austauschprogramm des Roten Kreuzes konnte er aber bereits 1915 wieder nach Wien zurückkehren. Wittgenstein machte das Unmögliche möglich: Er entschloss sich, seine Karriere als Pianist fortzusetzen. Sein unbeugsamer Wille und die Besonderheit, fortan als der „einarmige Pianist“ zu gelten, kamen ihm dabei zugute. Da Geld in seiner Familie praktisch keine Rolle spielte, hatte er finanziell Spielraum genug, um bei den angesehensten Komponisten der Zeit Werke eigens für die linke Hand in Auftrag zu geben. Zu den illustren Namen zählen u.a. Richard Strauss, Franz Schmidt, Karl Weigl, Erich Wolfgang Korngold, Paul Hindemith und eben jene drei Komponisten, deren Werke auf der vorliegenden CD zu hören sind.

Ein einfacher Zeitgenosse scheint Wittgenstein (zumindest aus Sicht der Komponisten) nicht gerade gewesen zu sein. Er war bekannt dafür, häufig eigenmächtig Änderungen am Notentext der Auftragswerke vorzunehmen. Mit Ravel etwa kam es zum handfesten Eklat, nachdem ihn der empörte Komponist völlig verständlicherweise zurechtgewiesen hatte. Erst viele Jahre später hatte Wittgenstein ein Einsehen und erkannte, mit welchem Meisterwerk er es zu tun hatte. Mit Prokofjew kam es noch schlimmer (aber das war keineswegs ein Einzelfall): Wittgenstein lehnte das Werk brüsk ab und schrieb dem zutiefst gekränkten Komponisten, dass er „keine einzige Note davon verstünde“. Allein Benjamin Britten erging es ein wenig besser: Wittgenstein schätzte Brittens Diversions von Anfang an sehr hoch ein. Sie entsprachen nach eigenem Bekunden am ehesten seinen Vorstellungen. Auch Britten hat er versucht, Änderungen abzutrotzen. Dieser war jedoch selbstbewusst genug, blieb bei seiner Version und Wittgenstein akzeptierte schlussendlich. Prokofjews Konzert kam erst drei Jahre nach dem Tod des Komponisten 1956 in Berlin zur Uraufführung und als Solist erschien nicht Wittgenstein, sondern der Pianist Siegfried Rapp, der ebenfalls im Krieg seinen rechten Arm verloren hatte.

Ravels Konzert erklang erstmals öffentlich 1932 in Wien, wo Wittgenstein bis zu seiner Emigration in die USA 1938 am Neuen Wiener Konservatorium eine Klavierklasse leitete. Das Werk, vielleicht eine von Ravels originellsten Partituren, spannt einen zwanzigminütigen großen Bogen, der sich aus dem diffusen, tiefen Raunen der Bässe zu strahlendstem Glanz emporschwingt (im marschartigen Mittelteil klingt wohl nicht ohne Absicht Ravels eigener Boléro an). Maxime Zecchnini gelingt eine überaus klangsatte, kraftvoll-gestische Deutung, der es jedoch nicht auch an feinen, lyrischen Momenten mangelt. Jan Moritz Onken weiß den großen Bogen des Werkes dramaturgisch überzeugend zu zeichnen, findet immer das rechte Maß von wuchtig-pastosem und transparent disponiertem Orchesterklang und beflügelt die Kapstädter Philharmoniker zu einer souveränen Leistung. Dasselbe gilt für Prokofjews Konzert mit seiner forschen Motorik, Linearität und charakteristisch herben Instrumentation, in dessen herrlichem langsamen Satz sich die unikale lyrische Begabung des Komponisten spiegelt.

Unstrittiger Glanzpunkt der Einspielung sind für mich jedoch Brittens Diversions. Es ist mir ein Rätsel, weshalb ein solches Stück immer noch ein Schattendasein im Konzertleben führt und innerhalb von Brittens Schaffen eher als Marginalie wahrgenommen wird. Kongenial präsentieren Zecchini/Onken die Diversions schlicht als das, was sie sind: ein geniales Meisterwerk von origineller Erfindung, brillanter Instrumentierung und Klarheit der Form. Der damals erst siebenundzwanzigjährige Komponist schrieb das Werk im Sommer 1940 während seines Amerika-Aufenthaltes (als überzeugter Pazifist hatte Britten 1939 England verlassen, um erst 1942 wieder in seine Heimat zurückzukehren). Möglicherweise hat das noble britische Understatement der Titelgebung Diversions (dt.: Zerstreuungen) dazu beigetragen, dass das Stück lange nicht sonderlich beachtet wurde. Britten wählt bewusst nicht die traditionelle, schwergewichtige konzertante Form, sondern legt das Stück als Folge von elf Variationen an, bezeichnet die Sätze mit charakterisierenden Überschriften wie Recitative, Romance, March, Nocturne, Badinerie usw. Die Musik bleibt für den Zuhörer also stets überschaubar, nachvollziehbar und abwechslungsreich. Dass es Britten darüber hinaus gelang, völlig neu und eigenständig für das „linkshändige Klavier“ zu schreiben, verwundert nicht, zählte er selbst doch zu den feinsten Pianisten, die das 20. Jahrhundert aufzuweisen hat (weniger als Virtuose, denn als Begleiter, der dem Instrument nie gehörte Farbnuancen und Linienführungen zu entlocken verstand).

Maxime Zecchini ist mit seiner Anthologie insgesamt und mit der vorliegenden Aufnahme im Besonderen ein großer Wurf geglückt (Vol. 5 und 6 sind in Planung). Mit Jan Moritz Onken steht ihm dabei einer der ohne Zweifel ernsthaftesten und charismatischsten Dirigenten der jüngeren Generation zur Seite. Ein Glücksfall also. Eine rundum empfehlenswerte Einspielung, die in keinem CD-Regal fehlen sollte!

Markus Zahnhausen † [01.10.2014]

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Komponisten und Werke der Einspielung

Tr.Komponist/Werkhh:mm:ss
CD/SACD 1
Maurice Ravel
1Klavierkonzert Nr. 2 D-Dur (Für die linke Hand) 00:21:27
Sergej Prokofjew
2Klavierkonzert Nr. 4 B-Dur op. 53 (für die linke Hand) 00:25:50
Benjamin Britten
6Diversions pour la main gauche op. 21 00:26:50

Interpreten der Einspielung

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