Jean Sibelius Lemminkäinen Suite
BIS 1745
1 CD/SACD stereo/surround • 70min • 2006, 2007
15.07.2014
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Bei den beiden kürzeren Sätzen aus der Lemminkäinen-Suite, also dem ‚Schwan von Tuonela’ und ‚Lemminkäinens Heimkehr’, sowie der Tondichtung ‚Skogsrået’ (Die Waldnymphe) handelt es sich um remasterte Wiederveröffentlichungen einer bereits zuvor erschienenen Aufnahme, wogegen die beiden umfangreicheren Sätze aus der Lemminkäinen-Suite, ‚Lemminkäinen und die Mädchen auf Saari’ sowie ‚Lemminkäinen in Tuonela’, in vorliegender Aufnahme zum ersten Mal zu bekommen sind. Das Lahti Symphonieorchester hatte unter seinem hochverdienten Erzieher und langjährigen Chefdirigenten Osmo Vänskä in den neunziger Jahren unter großem Medienwirbel die Waldnymphe nach gut sechzig Jahren dem Vergessen entrissen und damals auch gleich die Ersteinspielung besorgt. Hier freilich ist die zweite Aufnahme des Werks aus Lahti zu hören, die nach der 2006 bei Breitkopf & Härtel erschienenen kritischen Gesamtausgabe (zugleich dem Erstdruck des Werkes) vorgenommen wurde. Die weiterhin rege Editionstätigkeit des schwedischen Labels BIS in Sachen Sibelius mutet schon erstaunlich an, wo man doch längst die Gesamteinspielung des Œuvres des großen Meisters bewältigt hat, und so dürfen wir getrost davon ausgehen, dass es entweder darum geht, uns Teile des Schaffens in noch besserer Aufnahmequalität (auch bei besserer Saalakustik) zu präsentieren, oder in noch makelloserer Qualität der Darbietung, oder eben auch beides.
Das Lahti Symphonieorchester unter Vänskä agiert auf einem Niveau der innigen Bekanntschaft mit der Musik wie auch der Wachsamkeit und schlackenlosen instrumentalen Meisterschaft, wie wir es in Anbetracht der vielen Lobeshymnen, die die bisherigen Sibelius-Aufnahmen erhielten, auch erwarten. Aufs Genaueste werden die dynamischen und tempomäßigen Vorschriften umgesetzt, und die Geschlossenheit des kollektiven Ausdrucks ist beeindruckend. Zugleich fällt schon auch immer wieder auf, dass die Streicher doch recht klein besetzt sind, wodurch sie von massiven Blechbläserakkorden (wie etwa in der düster aufrüttelnden symphonischen Legende ‚Lemminkäinen in Tuonela’, dem dramatischsten und umfangreichsten Stück des Zyklus) noch aussichtsloser verdeckt werden als in größer besetzten Aufführungen – da kann auch die bestaufgestellte Tontechnik nicht mehr spürbar dagegen halten. Was generell auffällt, ist die sachliche Kühle der Darstellung, die dem Elegischen, dem lyrischen Aufblühen wenig Raum gibt, die stets auf Straffheit und Vorwärtsspiel ausgerichtete Musizierhaltung – dadurch wirkt es insgesamt doch sehr exekutiert und eben nicht so, als spinne die Musik sich aus ihren eigenen, ihr innewohnenden Kräften mühelos fort, was dem Sibelius’schen Ideal weit mehr entgegenkäme. Daher möchte ich hier ausdrücklich die alte, 1996 bei Ondine erschienene Segerstam-Aufnahme mit dem Helsinki Philharmonic Orchestra empfehlen, die der Musik den Raum zur Entfaltung lässt, die sie über weite Strecken so wirken lässt, als entstünde sie just in diesem Moment auf natürlichste Weise zum ersten Mal, und die dadurch sowohl den naturhaften Zug des Dramas in weit größerem Facettenreichtum aufleuchten lässt als auch den dramaturgischen Zusammenhang innerhalb der Sätze unwiderstehlicher und sinnfälliger zum Ausdruck bringt. In jedem Fall ist immer wieder frappierend, was für eine herrliche, zutiefst originelle, hinreißend orchestrierte und meisterlich geformte Musik von vollendeten Proportionen Sibelius in den vier Lemminkäinen-Legenden schuf, bevor er sich an seine Erste Symphonie wagte.
Die so lange und nachhaltig von ihm selbst und der Nachwelt ignorierte Waldnymphe ist nicht nur ein in seiner von Wagner ausgehend vollkommen selbständigen Heroik und nordischen Archaik klanggewaltiges Werk, sie gehört mit ihren weitausholenden Ostinato-Steigerungen, der fast minimalistisch reduzierten motivischen Faktur zu seinen zukunftsweisendsten und für die Ausführenden hinsichtlich des Spannungsaufbaus schwierigsten Kompositionen (in der Abwechslungslosigkeit über lange Strecken vergleichbar etwa der späteren Tondichtung ‚Nächtlicher Ritt und Sonnenaufgang’). Vänskä nimmt auch hier ziemlich zügige Tempi, und leider bleibt insbesondere die lyrische ‚Verführungs’-Episode erstaunlich ausdrucksarm. So sei auch hier nachdrücklich auf eine andere Aufnahme verwiesen, in welcher sich viel mehr vom Reichtum, dem Ausmaß der Gegensätzlichkeit und – bei weit breiterer Temponahme – der Stringenz dieser immer noch stark vernachlässigten Partitur mitteilt: auf die 2010 bei Ondine erschienene Einspielung der Philharmoniker aus Helsinki unter John Storgårds, der ja auch jüngst bei Chandos einen der großartigsten Zyklen der Sibelius’schen Symphonien überhaupt vorgelegt hat. Auf einem umkämpften Markt ist das Bessere der Feind des Guten, und das ist ein guter Feind.
Christoph Schlüren [15.07.2014]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
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CD/SACD 1 | ||
Jean Sibelius | ||
1 | Lemminkainen-Suite op. 22 (Vier Legenden für Orchester) | 00:47:06 |
5 | The Wood Nymph op. 15 (Ballade für Orchester) | 00:21:37 |
Interpreten der Einspielung
- Lahti Symphony Orchestra (Orchester)
- Osmo Vänskä (Dirigent)