Johann Wilhelm Hertel
Der sterbende Heiland
cpo 777 874-2
1 CD • 80min • 2013
18.04.2014
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Johann Wilhelm Hertel (1727-1789), in Bachs Geburtsstadt Eisenach als Spross einer Musikerfamilie geboren, wurde von seinem Vater musikalisch ausgebildet. 1742 begleitete er den Vater nach Neustrelitz, wo dieser Kapellmeister beim Herzog zu Mecklenburg wurde. In dieser Hofkapelle fand Hertel junior seine erste Anstellung als Geiger und Cembalist, bevor er seine musikalische Ausbildung in Zerbst und in Berlin bei C. Ph. E. Bach, Graun und Benda vervollkommnete. 1754 kehrte Hertel nach Mecklenburg zurück, um für den Rest seines Lebens am Schweriner herzoglichen Hof zu wirken: zunächst als Konzertmeister, später als „Hof- und Capell-Compositeur“.
An seinem tiefgläubigen Dienstherrn, Herzog Friedrich „dem Frommen“, liegt es, dass die geistliche Musik in Johann Wilhelm Hertels umfangreichem Schaffen eine herausragende Rolle spielt. Zu Lebzeiten hat er kaum Musik veröffentlicht, doch ist er auch als Musikpädagoge und Verfasser einer Autobiographie in Erinnerung.
Die Passionskantate Der sterbende Heiland ist die erste von zehn großen geistlichen Kantaten, die Hertel für das Fürstenhaus von Mecklenburg-Schwerin komponierte; der Auftrag zu dem Werk stammt von Prinz Ludwig, dem Bruder Herzog Friedrichs, der mit der Aufführung dieses Werks die Einrichtung eines Passionskonzertes in Schwerin veranlasste. Ähnlich wie bei Händels Oratorien war also für diese Kantate nicht die Kirche der Aufführungsort, sondern der Konzertsaal, was sowohl dem Textdichter größere Freiheit einräumte, im Libretto einer freieren Andachtsausübung Raum zu gewähren, als es auch die Möglichkeit einschloss, Frauenstimmen ins Ensemble einzubeziehen, denen die Mitwirkung bei Musik im Gottesdienst damals weitgehend versagt war.
Vorbild sowohl für Libretto wie auch für die Komposition für diese Passionsmusik war Carl Heinrich Grauns Passionskantate Der Tod Jesu auf eine Dichtung Karl Wilhelm Ramlers, die seit ihrer Uraufführung 1755 in Berlin für die Zeitgenossen und weit in das folgende Jahrhundert hinein zum Musterbild von Passionsmusik wurde. Noch Kaiser Wilhelm I. wehrte sich gegen den Siegeszug von J. S. Bachs Matthäuspassion, der im letzten Drittel des 19. Jahrhundert Grauns Kantate von der alljährlichen Aufführung vor dem hohenzollerischen Herrscherhaus verdrängte. Weder Hertel noch sein Textdichter Johann Friedrich Löwen (ein Hamburger Mitstreiter bei Lessings Theaterarbeit) haben ihre Bewunderung das maßstäbliche Werk von Graun und Ramler verhehlt. Dabei sind die beiden Schöpfer der Schweriner Passionskantate keinesfalls des blassen Epigonentums zu zeihen – der Geist einer am Zeitideal der „Empfindsamkeit“ ausgerichteten Passionsmusik ist in Der sterbende Heiland gültig gestaltet. Den Aufbruch, den eine solche geistliche Haltung gegenüber einer in alten reformatorischen Gewissheiten ruhenden Kirchenmusik bedeutete, ist heute nur noch schwer nachvollziehbar, hat sich doch seit der Bach-Renaissance in der Romantik, die ihrer Auffassung von J. S. Bach für lange Zeit die Herrschaft über die protestantische Kirchenmusik verschaffte, Dunkelheit über das kirchenmusikalische Schaffen seiner Folgegeneration gelegt – sie lichtet sich erst seit kurzer Zeit wieder.
Zu den Lichtbringern für das geistliche Repertoire der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts darf auch Michael Alexander Willens gerechnet werden – mehr noch mit dieser Aufführung als mit seiner ersten Einspielung von Hertels Weihnachtsmusik Die Geburt Jesu Christi aus dem vorigen Jahr. Gab es bei diesem Werk noch den Kritikpunkt einer gewissen besinnlichen Grundhaltung in der Interpretation, so gelingt in der Passionskantate die Umsetzung eines dem Werk innewohnenden dramatischen Gestaltungswillens, der sich von Kanzel und Altar zugunsten einer weiter ausgreifenden individuellen Frömmigkeitsgedankens emanzipiert. In der Riege der Solisten gebührt der hervorragenden Sopranistin Berit Solset (wie schon bei der Weihnachtsmusik) die Krone, freilich stehen ihr der englische Tenor Nicholas Mulroy und der Bass-Bariton Andreas Wolf (ausgesprochen stimmschön) kaum nach. Einen leichten englischen Akzent wird man Nicholas Mulroy nicht vorwerfen können, er ist freilich merkbar; hier hat Berit Solset als Norwegerin die deutlich besseren Karten. Für den Chor wird das Solistenensemble mit drei weiteren Sängern und zwei Altistinnen verstärkt, ein größeres Vokalensemble wäre der nur wenig prominenten Rolle, die der Chor in diesem der individuellen Empfindung geweihten Werk zukommt, auch nicht passend gewesen.
Detmar Huchting [18.04.2014]
Anzeige
Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Johann Wilhelm Hertel | ||
1 | Der sterbende Heiland |
Interpreten der Einspielung
- Berit Solset (Sopran)
- Nicholas Mulroy (Tenor)
- Andreas Wolf (Bass)
- Die Kölner Akademie (Orchester)
- Michael Alexander Willens (Dirigent)