BIS 1874
1 CD/SACD stereo/surround • 72min • 2009, 2010
29.02.2012
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Wie einem feine, ferne, kaum bewußt wahrzunehmende Düfte einen unerklärlichen Appetit nach ganz bestimmter Speise zu wecken vermögen, so erschien mir zu Beginn dieses norwegischen Feuervogels immer wieder das Bild von Cary Grant in einem langen, gewundenen Eisenbahnzug, unterbrochen von einer kühlen Blondine und einem kleinen, dicken Mann, der den Bus verpaßt. Es dauerte einige Zeit, bis mir der unterschwellig waltende Zusammenhang aufging: Hatte doch Bernard Herrmann, gewissermaßen der Fassadenkletterer unter den Dieben der Filmmusik, auch die Einleitung des Märchenballetts wieder unter seine Fuchtel gekriegt und daraus eine atmosphärische Beschreibung für den Hitchcock-Klassiker North by Northwest („Der unsichtbare Dritte") destilliert!
Warum mir das nicht schon längst aufgefallen war? Vielleicht, weil Andrew Litton und das Philharmonische Orchester Bergen sich in ganz besonderer Weise auf die „Vielstrebigkeit" dieser schillernden Partitur verlegt haben, die ja nicht nur, wie Andrew Huth im Begleittext richtig sagt, zwischen Vergangenheit und Zukunft changiert, sondern darüber hinaus selbst für ihre Gegenwart eine Fundgrube an orchestralen Effekten wurde: Mal tobt eine neu gewandete Baba Yaga, wenn Iwan den Feuervogel fängt, mal ahnt man was von der kommenden Archaik des Sacre, wenn die hypnotisierten Prinzessinnen ihr Rondeau tanzen; dann wieder liegen instrumentale Stimmungen in der Luft, die – von Claude Debussys Orchester gewissermaßen verdampft – sich in Ravels Valse und Daphnis kondensieren wollen.
In Bergen läßt Litton diesen musikalischen Mondstein, oder sollte ich besser sagen: dieses klingende Hologramm, zum Hauptereignis werden. Wie sollte er auch nicht angesichts der vielen vorzüglichen Solisten, die ihm hier zu Gebote stehen (man muß nur die prächtig anstoßenden Trompeten bei der Morgenstimmung hören) und sich fast immer zu exquisiten Ensemble-Wirkungen verknüpfen lassen! Dass dabei die dramaturgische Stringenz des Geschehens ein wenig zu kurz kommt, läßt sich verschmerzen. Mit ein bißchen Einbildungskraft sollte es uns ja wohl möglich sein, die Geschehnisse aus dem verhexten Gebiete des bösen Kastschei vors innere Auge zu zaubern: die Monster mit ihren Elefantenfüßen, das glühende Gefieder des geflügelten Titelhelden, der in sich wie ein mißglücktes Soufflé seufzend zusammensackt. Dass die Apotheose nicht recht gelingen will, ist kein Versagen, sondern offenbare Strategie: Es ist eine leise Bitterkeit darin, während das grelle, scharfkantige Scheinwerferlicht dem gleißenden Weiß die letzten Nuancen austreibt ...
Die Zugaben unterstreichen die Konzeption. Zwei Chopin-Bearbeitungen, in denen Strawinsky uns recht ironisch etwas salonfähigen „George Sand" in die Augen streut, eine idiomatische Instrumentierung der Canzonetta op. 62a von Jean Sibelius und ein bißchen was aus Tschaikowskys Dornröschen, dazu als spezielle Köstlichkeit das halbserielle musikalische Telegramm zum 80. Geburtstag von Pierre Monteux (1955) – das sind die hübschen kleinen Schlußsteinchen einer recht zauberhaften Schmuckschatulle.
Rasmus van Rijn [29.02.2012]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
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CD/SACD 1 | ||
Igor Strawinsky | ||
1 | L' Oiseau de feu (Suite, 1911) | 00:47:03 |
Peter Tschaikowsky | ||
23 | L' oiseau bleu. Pas de deux (bearbeitet von Igor Strawinsky - aus: Dornröschen op. 66) | 00:05:09 |
27 | Canzonetta op. 62a | 00:03:24 |
28 | Nocturne A flat major op. 32 No. 2 | 00:07:31 |
29 | Grande Valse brillante E flat major op. 18 | 00:06:07 |
Igor Strawinsky | ||
30 | Greeting Prelude | 00:00:51 |
Interpreten der Einspielung
- Bergen Philharmonic Orchestra (Orchester)
- Andrew Litton (Dirigent)