Around the World
BIS 1774
1 CD • 73min • 2010, 2009
24.08.2011
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Die Idee oder besser die Ideologie des „Crossover" besteht darin, alle möglichen Stile der weiten Palette zwischen Jazz, Rock und Pop sowie Klassik und Moderne in produktive Beziehung zu setzen und dabei keine ästhetischen „Gartenzäune" anzuerkennen (auch wenn der Begriff „Crossover", der aus dem amerikanischen „Chart"-System stammt, ursprünglich etwas ganz anderes meinte). Schaut man sich gleichwohl die Ergebnisse derartiger Versuche aus den letzten fast schon hundert Jahren an, so gelingt eine derartige Begegnung nur höchst selten. Elemente des Jazz und Rock sind zwar immer leicht auszumachen, aber der „klassische" Untergrund besteht fast immer aus einer im Kern sehr konventionellen, tonalen, spätromantischen Musiksprache, der dann ein paar spektakuläre, virtuose Mätzchen aus mehr „populären" Richtungen aufgepfropft werden.
Nicht viel anders verhält es sich auch bei den Werken des aus der Schweiz stammenden, jetzt in New York ansässigen Daniel Schnyder (geb. 1961). Schon bei einem früheren Album („Colossus of Sound", Enja 9460-2) war dies deutlich zu beobachten; das jetzige „Around the World", konzipiert zusammen mit dem Berliner Baßposaunisten Stefan Schulz, setzt diese Tendenz mit verschiedenen Arrangements (nur zum Teil handelt es sich um Originalwerke) in eine Richtung noch gesteigerter Äußerlichkeiten fort. Solche völlig eklektischen Macharten erschweren es, dahinter eine wirkliche Originalität des Komponisten zu entdecken, eine definitiv eigene Note, denn der Zuhörer wird mit einer Schaumwolke banaler und seichter Effekte eingehüllt: Scharfe Rhythmik in den schnellen Partien, Dissonanzbehandlung nicht entsprechend einem ausgebildeten Personalstil, sondern nach der Dramaturgie von Hollywood-Filmmusik, und wenn es lyrisch und Adagio wird, macht sich geradezu lähmender Kitsch breit. Von der zeitgenössischen Musik seit den Zeiten Strawinskys und Schönbergs ist hier so gut wie nichts zu spüren, sie wird zwar in der Crossover-Palette verbal einbezogen, tatsächlich aber ästhetisch völlig ausgeblendet. Schnyders scheinbar so unkonventionelle, moderne (?) Musik ist in Wirklichkeit stockkonventionell.
Eigentlich schade um eine durchaus vorhandene Begabung, und auch schade um die brillanten interpretatorischen Einzelleistungen sowohl von ihm selbst als vorzüglichem Sopransaxofonisten als auch von dem außergewöhnlich wendigen Baßposaunisten Stefan Schulz und den anderen Mitstreitern. Wie häufig in solchen Fällen steht zu befürchten, dass die Effekthascherei beim durchschnittlichen Zuhörer spontan über das Gespür für Substanz triumphiert. Als Gegenstrategie schlägt der Rezensent vor, sich eines der Stücke zweimal anzuhören. Das Ergebnis ist niederschmetternd, die Effekte verpuffen im Nichts.
Dr. Hartmut Lück † [24.08.2011]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Daniel Schnyder | ||
1 | The Island | 00:03:16 |
2 | Shourouk (Arabische Ouvertüre für Orchester) | 00:05:25 |
3 | Suite für Bassposaune und Orchester | 00:21:12 |
8 | Donne Variations | 00:06:08 |
Antonio Vivaldi | ||
9 | Sonata No. 6 g minor op. 13 for Flute and B.c. (Il Pastor fido) | 00:01:38 |
Daniel Schnyder | ||
10 | Around the World | 00:07:36 |
Johann Sebastian Bach | ||
11 | Fughetta c-Moll BWV 961 | 00:01:33 |
Antonio Vivaldi | ||
12 | Sonata No. 5 C major (Il Pastor fido) | 00:01:51 |
Daniel Schnyder | ||
13 | subZERO – Konzert für Baßposaune (1999) | 00:18:31 |
16 | Schuhmacher-Marsch | 00:01:43 |
17 | The Island | 00:02:50 |
Interpreten der Einspielung
- Stefan Schulz (Bassposaune)
- Daniel Schnyder (Saxophon)
- Tomoko Sawano (Klavier)
- Rundfunk Sinfonieorchester Berlin (Orchester)
- Michael Sanderling (Dirigent)
- Michael Helmrath (Dirigent)