Challenge Classics CC72505
1 CD • 23min • 2010
17.05.2011
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Lars Wouters van den Oudenweijer, international konzertierender Klarinettenvirtuose aus den Niederlanden, und sein gleichaltriger, nicht minder gefragter Landsmann Hans Eijsackers als Pianist haben längst die bedeutenden Podien der Musikwelt erobert. Beide haben sich gegenüber dem Medium Schallplatte bisher jedoch zurückgehalten. Nun aber, gleichsam selbstbestätigend, widmen sie sich im Aufnahmestudio mehreren spätromantischen Repertoire-„Brocken". Doch nicht nur der Label-Name Challenge bedeutet für sie eine Herausforderung, sondern vor allem die Darstellungsweise der höchst komplexen Klarinettensonaten von Max Reger und Johannes Brahms. Unser Augen- und Ohrenmerk gilt hier dem Altmeister Brahms, dessen zwei Spitzenwerke einschlägiger Kammermusik (Opus 120, Nr. 1 und Nr. 2) als aktuelle Neuerscheinung vorliegen. Anlaß zur Komposition dieser Spätlinge war für Brahms bekanntlich eine unmittelbar inspirierende Begegnung, dann auch künstlerisch-kollegiale Freundschaft mit dem Klarinettisten Richard Mühlfeld von der Meininger Hofkapelle im Jahre 1891. Dessen einschmeichelnd weiche Tongebung und Phrasierungskünste umschrieb der als herb und oft knorrig geltende Komponist mit einer ungewohnt aufwallenden, schwärmerischen Personifizierung des Bläsersolisten als „Fräulein Klarinette". Folglich haben dies viele nachfolgende Interpreten dieser Sonaten als heimliche Aufforderung verstanden, die Satz- und Vortragsbezeichnungen von Brahms wie „amabile", „grazioso" oder „dolce" dem vermeintlich weiblich-lyrischen Klangideal des legendären Musterbläsers aus Meiningen anzupassen. Das wissen natürlich auch die hier zu hörenden Kammervirtuosen aus den Niederlanden. Darüber hinausgehend nehmen sie aber auch anders lautende Anweisungen und Akzentzeichen im Notentext, wie „appassionato", „vivace", „espressivo" oder „ben marcato" weit über das übliche Maß hinaus rigoros beim Wort und erzielen mit exzessiv-dynamischem Temperament fulminante, gar robuste Steigerungseffekte.
Das Ergebnis ist eine für Brahms ungewöhnliche, musikalisch absolut zu begrüßende und überzeugende Alternativfassung dieser Werke. Zu erleben ist eine Dramatisierung der Vision vom „Fräulein", das man schüchtern umwirbt, bis zur energisch-lautstarken, ja, aggressiven Auseinandersetzung mit möglichen Nebenbuhlern. Da werden selbst ästhetische Konventionen schmeichelhafter Klarinettenkantilene dem knallharten Fortissimo hoher Registerlagen aufgeopfert. Gleiches gilt für die vollgriffigen, donnernden Klavierakkorde, wo immer dies Brahms mit Bravour fordert. „Brahms – beim Wort genommen", sollte daher das Motto dieser CD lauten und findet unsere Zustimmung. Die angehängte Wiedergabe einer vergessenen Klarinettensonate des Brahms-Zeitgenossen Josef Gabriel Rheinberger erweist sich bei ungleicher höherer bläserischer Herausforderung und Radikalität dynamischer Gestaltung als ein eher schmerzvoll-zerrissener (autobiographischer?) Seelenspiegel mit erschreckend schrillen Tönen. Das Ergebnis geizt nicht mit ruppigen Passagen. Wenig ergiebig für eine Einführung in die zu hörenden Werkstrukturen ist da leider der ausschließlich in englischer Sprache verfaßte Beihefttext. Auch die nüchtern weiße, nahezu unbedruckte Blankofläche des CD-Etiketts als optischer Gag (?) ist alles andere als nützlich oder gar sinnvoll.
Dr. Gerhard Pätzig [17.05.2011]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Johannes Brahms | ||
1 | Klarinettensonate Es-Dur op. 120 Nr. 2 | 00:21:43 |
4 | Klarinettensonate f-Moll op. 120 Nr. 1 | 00:22:39 |
Josef Rheinberger | ||
8 | Klarinettensonate op. 105a | 00:17:10 |
Interpreten der Einspielung
- Lars Wouters van den Oudenweijer (Klarinette)
- Hans Eijsackers (Klavier)