Decca 476 3978
2 CD • 2h 27min • 2001
23.11.2010
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Zwischen den beiden Weltkriegen auf der Opernbühne überaus erfolgreich, wurde Walter Braunfels von den Nazis als „Halbjude” aus dem Musikbetrieb eliminiert und seiner akademischen Ämter enthoben. Er ging in die „innere Emigration“ und arbeitete in seinem Heim in Überlingen am Bodensee unverdrossen weiter. In den Jahren 1937 bis 1943 entstand dort auf ein selbstverfasstes Libretto Jeanne d’Arc – Szenen aus dem Leben der Heiligen Johanna. Das Jahr 1945 erwies sich für ihn, wie auch für andere Musiker seiner Generation, etwa den Juden Rudolf Goldschmidt, keineswegs als ein Jahr der Befreiung, vielmehr wurde sein Werk von einer bald tonangebenden Avantgarde als „reaktionär“ zu den Akten gelegt. Vereinzelte Versuche, seine bedeutendste Oper Die Vögel auf die Bühne zu bringen, konnten nichts daran ändern, dass Braunfels in Vergessenheit geraten war, als er 1954 in Köln starb.
Eine vorsichtige Neubewertung seiner Bühnenwerke begann 1996 mit der Produktion der Oper Die Vögel bei Decca in der Reihe „Entartete Musik“; diese Adaption der Komödie von Aristophanes hat mittlerweile auch den Sprung auf die internationalen Bühnen geschafft. Prinzessin Brambilla nach E. T. A. Hoffmann liegt in einem Mitschnitt vom Wexford Festival 2004 bei Marco Polo vor. Das Münchner Gärtnerplatztheater brachte vor einigen Jahren Don Gil von den grünen Hosen mit einigem Erfolg heraus. Braunfels’ ehrgeizigstes Projekt, eben die Jeanne d’Arc, das er noch gerne auf der Bühne erlebt hätte, kam erst 2008 an der Deutschen Oper Berlin zur Uraufführung, eine in musikalischer Hinsicht erstklassige Rehabilitation dank der sorgfältigen und leidenschaftlichen Einstudierung durch Ulf Schirmer. Dieser szenischen Realisierung war sieben Jahre zuvor in Stockholm eine konzertante Erstaufführung unter Manfred Honeck vorausgegangen, deren Mitschnitt jetzt bei Decca vorliegt.
Der Musikwissenschaftler Alfred Einstein hat Braunfels einmal als „zeitlos unzeitgemäß“ bezeichnet, und es ist schwer zu entscheiden, ob dies als Kompliment oder als Verdikt gemeint war. Die Partitur der Jeanne d’Arc jedenfalls zeigt den Schüler von Ludwig Thuille als einen unbeirrbaren Anhänger und Vollender der spätromantischen Richtung, Pfitzner noch näher stehend als Richard Strauss. Am Fall der Jungfrau von Orleans reflektiert er zugleich die Rolle des Künstlers und Propheten in einer barbarischen Zeit. Nicht Schillers Drama diente ihm dabei als Leitfaden, sondern die originalen Prozessakten. Die Handlung ist in drei Akte aufgeteilt, die Titel tragen: „Die Berufung – Der Triumph – Das Leiden“. Die Anlage des Stücks ist mehr episch als dramatisch. Arthur Honegger hatte sich fast zur gleichen Zeit mit Jeanne d’Arc au bûcher noch radikaler von der traditionellen Opernform losgelöst, indem er die Hauptrollen Sprechern zuteilte und in der Musik eine Mixtur von scheinbar Unvereinbarem, von Folklore, Jazzelementen und gregorianischen Chorälen, riskierte.
Braunfels fährt das ganze große Orchester der Spätromantik auf und erreicht vor allem im zweiten Teil, der Krönung des Königs in Reims, unter Hinzuziehung der Orgel gewaltige Klangwirkungen. Die Gesangsparts führen kein melodisches Eigenleben, sondern sind der Textaussage untergeordnet. Manfred Honeck schafft mit dem Schwedischen Rundfunkorchester ein imposantes Klanggemälde, an dem auch die Chöre ihren Anteil haben, die freilich – wie auch ein Großteil der Solisten – wesentlich textverständlicher sein dürften. Ein Glücksfall ist die Besetzung der Titelrolle mit Juliane Banse, deren helles, engelhaftes Timbre der erleuchteten Jungfrau sehr gut entspricht. Neben ihr können sich die Tenöre Robert Künzli (Hl. Michael) und Gunnar Gudbjörnsson (König Karl), der Bariton Terje Stensvold (Gilles de Rais) und der Bassist Günter Missenhardt (Herzog de la Trémouille) profilieren.
Ekkehard Pluta [23.11.2010]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
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CD/SACD 1 | ||
Walter Braunfels | ||
1 | Jeanne d'Arc (Szenen aus dem Leben der Heiligen Johanna) |
Interpreten der Einspielung
- Juliane Banse (Johanna - Sopran)
- Terje Stensvold (Gilles de Rais, Marschall von Frankreich, genannt Blaubart - Baß)
- Günter Missenhardt (Herzog de la Trémouille - Baß)
- Gunnar Gudbjörnsson (Karl von Valois, König von Frankreich - Tenor)
- Robert Künzli (Hl. Michael, Erzengel - Tenor)
- Swedish Radio Choir (Chor)
- Eric Ericson Chamber Choir (Chor)
- Swedish Radio Symphony Orchestra (Orchester)
- Manfred Honeck (Dirigent)