Berlin Recital
Stefan Schulz
BIS 1824
1 CD • 56min • 2008
03.11.2010
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Gegenüber vier Komponisten aus dem 20. Jahrhundert wirkt Brahms innerhalb des Repertoires dieses Albums zunächst ein wenig wie auf verlorenem Posten; doch im Verlauf von Stefan Schulz´ Berliner Rezital von 2008 ergibt sich dann doch eine gewisse stilistische Übereinstimmung. Denn drei der modernen Komponisten ziehen es vor, für das exotische Soloinstrument Bassposaune in einer konservativ romantischen Musiksprache zu komponieren, was angesichts der nur sehr kurzen Geschichte solistischer Literatur für dieses Instrument auch durchaus verständlich ist: Es kommt vielleicht erst einmal darauf an, zu beweisen, daß die Bassposaune mit anderen Soloinstrumenten überhaupt mithalten kann.
Dabei ist die Baßposaune nicht nur ein sehr altes Instrument, sondern eines, das konventionellerweise immer schon ziemlich bewegliche Partien ausführen mußte. Die Chorwerke von Renaissance, Barock und Klassik wurden häufig mit einem vollen mehrstimmigen Posaunensatz begleitet, weil die Posaune das erste der Blechblasinstrumente war, das aufgrund seiner Zugtechnik die gesamte Chromatik ausführen konnte; den tiefsten Part dieser Praxis des „Colla-Parte“-Spiels übernahm eben die Bassposaune, die deshalb mindestens so beweglich wie die Stimme der Choristen sein musste. Als Soloinstrument ist die tiefste Posaune freilich auf den ersten Blick nicht sonderlich attraktiv, im Gegensatz zur Tenor- oder Altposaune, deren höchste Register sehr expressiv strahlen können. Gleichzeitig hat die Bassposaune nicht den Raritätenbonus der solistischen Tuba.
Von den fünf Stücken dieses Albums ist denn auch nur eines genuin für die Bassposaune geschrieben worden; sowohl Suleks Sonate Vox Gabrieli von 1973 als auch Sandströms Song to Lotta von 1990 sind für gewöhnliche Posaune bestimmt, Lebedevs Concerto No. 1 von 1947 ist die Bearbeitung eines genuinen Tuba-Stückes. Dennoch klingt die Bassposaune, die Schulz spielt, aufgrund ihrer weiteren Mensur mächtiger, dunkler und weicher als die gebräuchlichere Tenor- oder Tenor-Bassposaune; der Hörer erhält also einen guten Eindruck der klanglichen Möglichkeiten dieses machtvollen Instrumentes. Die knackige Tiefe kommt am besten in Lebedevs spätromantischen Virtuosen-Stück heraus, das die Pedaltöne weidlich ausnutzt; Schulz´ Virtuosität ist mit der des Ventilinstruments Tuba durchaus zu vergleichen.
Am besten werden die Möglichkeiten des Instruments, wie sie von der Speerspitze seiner Spieler heute erreicht werden, natürlich durch Daniel Schnyders Konzert SubZero von 1999 demonstriert. Schulz bewältigt hier scheinbar mühelos beeindruckend steile Sprünge von der hohen in die tiefe Lage und wieder zurück – es ist auf den Blechinstrumenten nicht leicht, eine Höhe und Tiefe in entsprechender Stärke gleichzeitig verfügbar zu haben. Stilistisch lebt das Bassposaunenkonzert freilich von der Vermengung, oder besser gesagt, dem umstandslosen Wechsel zwischen „klassischen“, jazzartigen und minimalistisch-verpoppten Stilebenen; auch das hohe Tempo und die hohe Ereignisdichte kann nicht ganz überspielen, dass die verschiedenen eher kurzen Abschnitte, die fast immer wie Zitate bestehender Musikstile klingen, nicht vermittelt sind – ein Stück, das aus dem Augenblick lebt, nicht aus der formalen Übersicht, aber zweifellos ein Virtuosen-Vehikel für den famosen Stefan Schulz.
Vielleicht ist der künstlerische Höhepunkt dieses Albums jedoch überraschenderweise die einleitende Brahms-Bearbeitung ausgerechnet der bedeutungsschweren Vier ernsten Gesänge op. 121 aus Brahms vorletztem Lebensjahr. Obwohl gerade Brahms die Posaune nicht übermäßig geliebt – zumindest jedoch offenkundig nicht besonders intim gekannt hat –, offenbart sich eine unerwartete innere Zusammengehörigkeit von komponierter Faktur und dem Instrument; betont wird sie auch durch das sehr weiche, herrlich dunkle und artikulatorisch sprechende Spiel Schulz’, dem es gelingt, den so existentiellen Bibeltext ohne Stimme heraufzubeschwören. Wichtig ist auch, dass die Begleitpianistin Tomoko Sawano nicht nur reagierend begleitet, sondern sehr aktiv diese depressiven Gesänge dynamisiert und ihnen damit Leidenschaftlichkeit abgewinnt.
Prof. Michael B. Weiß [03.11.2010]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
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CD/SACD 1 | ||
Johannes Brahms | ||
2 | Denn es gehet dem Menschen op. 121 Nr. 1 (Prediger Salomo 3 - aus: Vier ernste Gesänge op. 121) | 00:03:48 |
3 | Ich wandte mich und sahe an op. 121 Nr. 2 (Prediger Salomo 4 - aus: Vier ernste Gesänge op. 121) | 00:03:25 |
4 | O Tod, o Tod, wie bitter bist du op. 121 Nr. 3 (Jesus Sirach 41 - aus: Vier ernste Gesänge op. 121) | 00:02:41 |
5 | Wenn ich mit Menschen- und mit Engelszungen redete op. 121 Nr. 4 (1. Korinther 13 - aus: Vier ernste Gesänge op. 121) | 00:05:10 |
Stjepan Sulek | ||
6 | Sonata für Posaune und Klavier (Vox Gabrieli) | 00:07:40 |
Alexei Lebedev | ||
7 | Concerto Nr. 1 für Bassposaune und Klavier | 00:07:20 |
Daniel Schnyder | ||
8 | subZERO – Konzert für Baßposaune (1999) | 00:19:12 |
Jan Sandström | ||
12 | Song to Lotta | 00:04:24 |
Interpreten der Einspielung
- Stefan Schulz (Bassposaune)
- Tomoko Sawano (Klavier)