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Besprechung CD/SACD stereo/surround

Haydn

Yevgeny Sudbin

BIS 1788

1 CD/SACD stereo/surround • 75min • 2009, 2010

24.06.2010

Künstlerische Qualität:
Künstlerische Qualität: 10
Klangqualität:
Klangqualität: 9
Gesamteindruck:
Gesamteindruck: 10

Endlich eine Haydn-CD, die meine Vorstellungen von Gewandtheit, Genauigkeit, Überraschungsmomenten, Redseligkeit und instrumentaler Sangesfreudigkeit erfüllt! Zum Haydn-Jahr 2009 kommt Yevgeny Sudbins Einspielung ein wenig verspätet, aber allen den zunehmenden Jubiläumsfeierlichkeiten verhafteten Musikfreunden sei in diesem Fall zugerufen: nicht jeden, der zu spät kommt, bestraft die musikalische Geschichte!

Sudbin gelingt es, die verschiedenen Partituren bald mit gespitzten Fingern, bald mit weichen Fingerkuppen anzuschlagen und abzutönen, er versteht es, die verschiedensten Abschnitte variabel auszuleuchten, sie sozusagen zu kleinen Schauspielen umzumünzen, als würden Haydns pianistische Eingebungen als Ausgangspunkte für eine imaginäres Bühnengeschehen ohne Worte überliefert sein. Niemals – vor allem in den allzu oft über die Maßen forcierten Finalsätzen – überzieht Sudbin die Zeitmaße, wenngleich er nicht mit seinen mechanischen Möglichkeiten hinter dem Berg hält. Er „spielt" mit seinem manuellen Talent, nutzt es verantwortungsvoll, den jeweiligen Satztypen, den internen Satzcharakteren nachzulauschen, sie wie ein ausgefuchster Marionettenspieler zum Leben zu erwecken. Somit gelingt es ihm, den klanglichen und motivischen Windungen plastisch gewissermaßen zu Gestik und Mimik zu verhelfen.

Nehmen wir die C-Dur-Sonate (Hob. XVI/50) mit ihrem spitzen, letzten Endes heilsamen „Akupunktur"-Thema, sofern der Ausführende exakt, aber nicht pedantisch die pianistische Nadel führt. Sudbin gibt diese initiale Phrase energisch, aber keineswegs schmerzhaft zu Gehör. Es ist eine liebevolle Bestimmtheit, die im Folgenden vitale Sorgsamkeit erkennen lässt. Sie spendiert den schnellen, überraschenden Terzfolgen genügend Atemluft, dem langsamen Satz mit seinen schönen, oktavierten Melodiepartikeln und verhilft schließlich dem turbulenten Schlusssatz zu jener Dichte, Lockerheit und Unwiderruflichkeit, die man sich von einer Haydn-Gestaltung in Kenntnis vieler, allzu vieler unbefriedigender Aufnahmen wünscht. In dieser Hinsicht muss ich leider eine neue Gramola-Veröffentlichung mit dem ungarisch-österreichischen Komponisten und Pianisten Ivan Eröd erwähnen. Seine Haydn-Einspielungen sind in den frühen 70er Jahren entstanden. Und nicht nur die hier hervorgehobene C-Dur-Sonate ist ein abschreckendes Beispiel an gestalterischer Lauheit, musikalischer Abgestumpftheit. Das gesamte Doppelalbum vermittelt einen Eindruck davon, wie die Werke Haydns unter unglücklichen Umständen verkannt und damit zur ästhetischen Allerweltsgeschichte verdammt wurden.

Sudbin lässt es sich nicht nehmen, in der e-Moll-Sonate auch die harten, blutigen Momente herauszukehren. Auch hier legt er den Finger – und seine Hände – auf Erscheinungsformen der Haydnschen Klavierwunden, die weit, sehr weit über verbreitete Vorstellungen einer seinerzeit heilen musikalischen Gedankenwelt hinauszielen. Sieht man von Mozarts c-Moll- und a-Moll-Sonaten einmal ab (die Fantasie KV 475 mit eingeschlossen), so findet man im Soloklavier-Vermächtnis des Salzburger Meisters kaum ähnlich schonungslose, ruppige Momente wie in einigen der Haydn-Sonaten.

Mit großer Aufmerksamkeit für die thematischen Metamorphosen übermittelt Sudbin die elegisch-brillanten f-Moll-Variationen, geschmeidig und freudig fräst und verschmilzt er die Brio-Bausteine der C-Dur-Fantasie. Und sozusagen im Bonus-Teil beschäftigt er sich noch kurzweilig mit dem Finale des Streichquartetts op. 64,5, dem so genannten „Lerchenquartett", wobei das Englische „larking"ja auch in Nähe des Scherzhaften lokalisieren ist…). Unbedingt erwähnenswert: der SACD liegt ein ausgezeichneter Text des Pianisten bei. Sudbin bewährt sich einmal mehr nicht nur als Pianist, sondern als schreibender Interpret des von ihm Gespielten!

Vergleichsaufnahmen: Buchbinder (Teldec), Olbertz (Eurodisc); Hob. XVI/50: Eröd (Gramola 98862/63), Hamelin (Hyperion CDA 67554), A. Schiff (Warner 2564 69967-4), Barto (Ondine ODE 1154-2), Vladar (Preiser Records PR 90770), R. Schirmer (Berlin classics 0017452 BC), Richter (New York 26.12.60 /RCA/BMG 09026 63844-2 CD 10724), Brautigam (BIS 994), Pennetier (Lyrinx 177), Leander (Cybele 130.101), Badura-Skoda (1973 /Genuin 03016/III), Lang Lang (Carnegie Hall 7.11.03 /DG 474 875-2) Reisenberg (Ivory 70806), Buttrick (Jecklin JD 621-2), Koroliov (Hänssler PH 04060).

Peter Cossé † [24.06.2010]

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Komponisten und Werke der Einspielung

Tr.Komponist/Werkhh:mm:ss
CD/SACD 1
Joseph Haydn
1Klaviersonate Nr. 47 h-Moll Hob. XVI:32 00:15:13
4Klaviersonate Nr. 60 C-Dur Hob. XVI:50 00:20:09
7Klaviersonate Nr. 34 e-Moll Hob. XVI:34 00:13:57
10Fantasie C-Dur Hob. XVII:4 (Capriccio) 00:06:13
11Andante con variazioni f-Moll Hob. XVII:6 00:14:44
12Streichquartett D major op. 64 No. 5 Hob. III:63 (Lerchenquartett) 00:03:08

Interpreten der Einspielung

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