
edition zeitklang ez-32034
1 CD • 62min • [P] 2008
01.09.2009
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Klassik Heute
Empfehlung
Zwischen dem Komponisten Gerald Humel und dem Lyriker Nicolas Born könnten Seelenverwandtschaften bestanden haben, wollten doch beide viel bewegen, hier der Tonsetzer und dort der idealistische, in den 70ern gefragte Wortschöpfer. Der in den USA geborene Humel sah die Musik als Medium des Dramatischen, um Aussagen und viel Emotionen transportieren. Nachdem Humel der amerikanische Kulturkreis zu oberflächlich angemutet hatte, tauchte er seit den 1960er Jahren ins Musikleben von Berlin ein, leistet vor allem auf dem Gebiet von Musik-Theater bzw. Theater-Musik erstaunliches. Nicolas Born gehörte zu den schreibenden Protagonisten einer „Neuen Innerlichkeit“, die mittels Prosa und Lyrik Zeitkritik übten und dabei einen betont subjektiven Blickwinkel favorisierten. Das führte zur Berührung der Genres, als Gerald Humel im Jahr 2002 einen Textzyklus seines 1979 viel zu früh verstorbenen schreibenden Kollegen vertonte. Diese „Visionen“ stehen nun im Zentrum einer neuen Veröffentlichung der Edition Zeitklang.
Schlichtweg kongenial ist, wie sich das Modern Art Sextet der Herausforderung stellt, diesen beiden kreativen Köpfen ein tönendes Monument zu errichten. Zugleich intim und spannungsreich, wie sich hier Sprache und Musik berühren. Aber so etwas liegt diesem renommierten Berliner Kammermusik-Klangkörper – dank profunder Vorerfahrungen auf musikdramatischem Terrain – nicht zuletzt bei einer richtungsweisenden Interpretation von Schönbergs expressionistischem Melodram Pierrot Lunaire!
Rein instrumental beginnt das Hörerlebis dieser Einspielung – und das kommt einem durchgängigen Spannungsbogen zugute. Gerald Humels Konzert für Bratsche und Orchester steht wie ein Prolog dem lyrischen Vortrag von Borns Texten voran. Akzentuiert und in plastischer Räumlichkeit und dennoch mit viel Wärme aufgenommen, werden die Musiker den Qualitäten von Humels Tonsprache spielend gerecht. Das bündelt geradezu Humels Einflüsse und musikalische Visionen: Noch gerade diesseits aber auch oft weit jenseits der Tonalität wird alles musikalische Geschehen in den Dienst lyrischer Verdichtung und dramatischer Entwicklung gestellt. Die orchestralen Färbungen vor allem der Streicher wirken dabei wie Spurenelemente aus der Zweiten Wiener Schule oder lassen bespielsweise die Ästhetik Hindemiths assoziieren. Aber Humel (und auch seine Interpreten!) wissen, wie alles da gewesene durch spontane Impulse zu durchkreuzen ist, um in abseitige Verwicklungen zu entführen und durch wütende Geste, emphatischen Impuls aufzubegehren. Das schafft auch Jean Claude Velins meisterhaft gespielte Viola!
Dann kommt das Wort ins Spiel und damit tritt Humels eigenwillig-direkte Tonsprache in spannungsvolle Reibung bei gleichzeitig konsequent durchgehaltenem glasklaren Bezug zwischen den semantischen Ebenen. Der leuchtende Bariton von Simon Berg erhebt sich über dem Instrumental-Ensemble, lässt der Sprachkunst und Gedankenwelt eines Außenseiter-Poeten der 70er/80er Jahre ganz viel ästhetische Gegenwart angedeihen. Lange Gedichtpassagen transportieren Friedensbotschaften und humaninistische Liebeserklärungen, aber jede Romantik wird von doppelbödigen Formulierungen sofort zerrissen. Und nur zu gut weiß das Ensemble eine ganze Trickkiste instrumentaler Effekte auf sämtliche noch so subtilen Sprachgesten des Sängers abzustimmen.
Gerald Humel ist mittlerweile – genauer gesagt im Jahr 2004 – vestorbnen. Kurz zuvor waren die Visionen noch im Künstlerhof Schreyan / Lüchow Dannenberg uraufgeführt worden. Diese CD ehrt die beiden Künstler und macht ein kleines, aber an Ausstrahlung reiches Stück Musik- und Literaturgeschichte lebendig.
Stefan Pieper [01.09.2009]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
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CD/SACD 1 | ||
Gerald Humel | ||
1 | Konzert für Bratsche und Ensemble | 00:28:04 |
3 | Visionen für Bariton und Ensemble | 00:34:06 |
Interpreten der Einspielung
- modern art sextet (Ensemble)