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Besprechung CD

Heimat

Classicclips CLCL 107

1 CD • 61min • 2008

17.10.2008

Künstlerische Qualität:
Künstlerische Qualität: 9
Klangqualität:
Klangqualität: 9
Gesamteindruck:
Gesamteindruck: 9

Dass die musikalische Auseinandersetzung mit dem Begriff „Heimat“ und der eigenen Vergangenheit für Gänsehaut sorgen kann, ist nichts Neues. Es handelt sich jedoch weniger um ein wohliges Kribbeln, das die Ausführung des absolut stimmigen Programms auf dieser mit „Heimat“ überschriebenen CD hervorruft, als vielmehr um wiederholtes kaltes Erschauern: um das wehmütige, bisweilen beunruhigende Verarbeiten großen persönlichen Schmerzes. Ausgehend von Leo Janáeks Klavierzyklus Auf verwachsenem Pfad, jenen leidvollen Erinnerungsbildern an Janáeks früh verstorbene Tochter Olga, konzipierte der Komponist Stefan Heucke sein 2006/07 entstandenes und hier als Ersteinspielung vorliegendes Werk Heimat. Sieben Skizzen und ein Epilog für Akkordeon und Klavier op. 49, in dem er sich – wie Janáek – mit der Vergangenheit, mit Kindheit, Jugend und eben mit dem Heimat-Begriff auseinandersetzt. Gemeinsam sind diesen beiden (autobiographischen) Bekenntniswerken nicht allein ihre Thematik, ihre größtenteils introvertierte Haltung und ihr tiefgründiger, schmerzvoller, mitunter auch resignativer Tonfall. Verbunden sind sie außerdem durch den Schlussakkord von Janáeks Auf verwachsenem Pfad, mit dem Stefan Heuckes aufwühlende Heimat-Skizzen beginnen.

Eine weitere Besonderheit dieser Einspielung: Aufgrund der Tatsache, dass Janáeks Klavierzyklus ursprünglich für Harmonium, also für ein Zungeninstrument geschrieben wurde, aber auch mit Blick auf die Besetzung seines eigenen Werks, hat der 2007 mit dem Hans-Werner-Henze-Preis in Dortmund ausgezeichnete Stefan Heucke das Janáek-Werk für Akkordeon und Klavier arrangiert. Das dadurch ermöglichte dynamische Spiel mit einem klanglichen Vorder- und Hintergrund, das Neben-, Mit- und Übereinander zweier so unterschiedlicher Instrumente verleiht der Melancholie und Bitterkeit Janáeks eine ganz neue Qualität; es gibt der unglaublichen Schönheit, dem Beängstigenden und Abrupten, aber auch dem Zärtlichen und Tröstlichen von Janáeks Tonsprache eine bis dahin ungeahnte Tiefe, in die man unweigerlich hineingezogen wird. Marko Kassl (Akkordeon) und Tobias Bredohl (Klavier) lassen sich dabei glücklicherweise nicht zu reiner Klangmalerei verleiten. Ihr inniger Vortrag dieser zwischen Pentatonik und Kirchentonalität pendelnden Miniaturen ist mustergültig strukturiert und wohl durchdacht; fast glaubt man, tief verborgene Wahrheiten zu hören.

Die musikalische und interpretatorische Intelligenz Marko Kassls und Tobias Bredohls ist auch jederzeit spürbar in Stefan Heuckes Heimat op. 49, einer Auftragskomposition der Gesellschaft zur Förderung der Westfälischen Kulturarbeit Münster (GWK) für eben diese beiden Künstler. Heucke, der 2006 mit seinem Musiktheater Das Frauenorchester von Auschwitz großes Aufsehen erregte, überzeugt in seinem achtteiligen Zyklus mit einem expressiven Erzählton voll beeindruckender Klangfantasie. Dabei beleuchtet er sein Heimat-Verständnis in sehr ausdrucksstarken Stimmungsbildern zwischen dissonant Geräuschhaftem, harmonischen und rhythmischen Schwebezuständen sowie komplexer Kontrapunktik aus ganz verschiedenen Blickwinkeln: Es geht unter anderem um den Missbrauch des Heimat-Begriffs durch den Nationalsozialismus („Wir sind Auschwitz“), um Bach, Beethoven und Brahms als Vaterfiguren der deutschen Musik („BBB“), oder um die geistliche und spirituelle Heimat („Von nun an“). Ausgangspunkt für Heuckes mal zarte, verspielte, dann wieder aggressiv losbrechende, insgesamt recht beklemmende Heimat-Betrachtung ist das Volkslied „Jetzt gang i ans Brünnele“: Schemenhaft und skizzenartig durchzieht es den gesamten Zyklus, wird brachial zerstückelt, bis zur Unkenntlichkeit verfremdet, verschwindet fast gänzlich und erklingt erst im Epilog in seiner ursprünglichen und vollständigen Gestalt. Zugegeben: eine nicht gerade leicht zugängliche Musik. Aber das perfekte Kommunizieren der beiden Interpreten in einer grandios ausgehorchten Klanglichkeit macht sie, wie überhaupt die gesamte CD, zu einem fesselnden Erlebnis.

Christof Jetzschke [17.10.2008]

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Komponisten und Werke der Einspielung

Tr.Komponist/Werkhh:mm:ss
CD/SACD 1
1On an overgrown path 00:33:49
Stephen Heucke
11Heimat op. 49 (Sieben Skizzen und ein Epilog) 00:27:04

Interpreten der Einspielung

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