BIS 1547
1 CD/SACD stereo/surround • 67min • 2005
20.03.2008
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Amerikanische Aufnahmen waren es zuerst, die diese universelle Musik eines Deutsch-Österreichers nach Deutschland gebracht hatten, etwa die von Bruno Walter. Irgendwann, als die Entdeckung Mahlers nicht mehr aufzuhalten war, nahmen sich auch „deutsche“ Richard-Strauss- und Bruckner-Dirigenten des 12 Jahre verfemten Komponisten an (der auch in der avantgardistischen Nachkriegszeit noch als aufgeplusterte Spätest-Romantik missverstanden wurde) – und plötzlich, im neuen Jahrtausend, sind es Musiker jenseits der deutschen und der jüdischen Problematik, die aber einen noch anderen in der energetischen Substanz des Werkes angelegten Aspekt berühren und gleichsam wie von langer Hand getimt geschichtlich „auslösen“. Denn die heute rund 1300 Jahre alten chinesischen Texte hatten bereits eine abenteuerliche Übersetzungs-Metamorphose hinter sich, bevor sie in Hans Bethges Sammlung „Die chinesische Flöte“ landeten und 1908 Gustav Mahler zum Lied von der Erde inspirierten – bis sie, nochmals 100 Jahre später, nun in ihrer ursprünglichen Sprache klingen, soweit man dies mit Vorsicht sagen kann. Tatsächlich berührt es eigenartig, das Lied von der Erde in chinesischer Sprache zu hören, aber Ning Liang und Warren Nok zeigen in einem so farbenreichen Timbre, dass Mahler ein Komponist „von der Erde“ ist. Die gestische Prägnanz und nicht zuletzt die Intensität und Kraft ihrer Stimmen macht diese ebenso archaische wie moderne Version von Mahlers Vokalsinfonie zu einem durchaus „aktuellen“ Erlebnis, auch wenn es dabei nicht primär um Wirtschaft, Börse oder Umwelt geht. Auch der gebürtige Chinese Lan Shui, seit 1997 Leiter des Singapur-Symphonie-Orchesters, liefert hier eine dramaturgisch wie episch packende Interpretation, die sich vor allem durch jugendstilhaft aufleuchtende Instrumentalfarben auszeichnet, sich aber in der Architektur der Musik nicht wirklich von den maßstabsetzenden Aufnahmen entfernt. Die wild aufflammenden Orchestergebärden des Kopfsatzes, die Chinoiserien des 3.Satzes und die in die Ferne fließenden „Ewig“-Wellen des Schlusssatzes teilen sich musikalisch schnörkellos und direkt mit; dabei zeigt Lan Shui, dass er in agogischen Feinheiten auch ein eigenes Konzept hat, in dem die Musik nicht nur ihre metaphysischen und universellen, sondern auch ihre menschlichen Aspekte artikulieren kann. Dazu gehört auch ein stets erfrischender Esprit, der das Werk aus den Verschleierungen des Fin-de-Siècle löst und dem Hörer das Gefühl gibt, er würde einer Uraufführung beiwohnen.
Hans-Christian v. Dadelsen [20.03.2008]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
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CD/SACD 1 | ||
Gustav Mahler | ||
1 | Das Lied von der Erde für Tenor, Bariton und Orchester |
Interpreten der Einspielung
- Ning Liang (Mezzosopran)
- Warren Mok (Tenor)
- Singapore Symphony Orchestra (Orchester)
- Lan Shui (Dirigent)