Ondine ODE 1095-2
1 CD • 64min • 2005, 2006
23.03.2007
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Tzimon Bartos faszinierende, ob ihrer im Grenzbereich von Versunkenheit und leiser Aufgeregtheit fast schon verstörende Rameau-Interpretationen noch in plastischer Erinnerung, weckt die neue Ravel-Einspielung unwillkürlich verstärktes Interesse. Wie wird der körpergestählte Bodybuilder zwischen PS-Begeisterung und vielfältigen Sprachstudien (bis hin zu Altgriechisch, Farsi, Hebräisch und Mandarin!) den in ihrer Bildhaftigkeit und atmosphärischen Botschaft vorjustierten Werken von Maurice Ravel zu Leibe rücken? Meine Antwort nach mehrmaligem Hören der drei ausgewählten Stücke bzw. Stück-Serien fällt gespalten aus. Zum einen erweist sich Barto – etwa in den Vibrationen, Irrlichtereien, Wasserspiegelungen und auf den gischtenden Schaumkronen der Ondine-Porträtierung – als Vertreter aufgeweckter Vorsicht, malt und liniert, so wie man es von verantwortungsvollen Kollegen kennt, die ihre Brillanz dem Erzählen, dem Munkeln hinter gleichsam vorgehaltener Pianistenhand widmen, nicht aber Skalen- und Akkord-brachialem Auftrumpfen. Hier würde ich Bartos Version der – um Nuancen noch plastischeren, verführerischeren – Aufnahme von Alexander Lonquich an die Seite stellen.
Für die Gibet-Szene mit ihren vielen Anschlagsarten hat Barto genügend Schattierungsreserven. Dumpfheit, Bedrohlichkeit sind ausschattiert eingefangen, lassen Ton für Ton, Akkord für Akkord nichts Gutes ahnen. Aber auch hier bleibt Barto im Rahmen. Nun aber, wenn er sich in die Heimat Scarbos begibt, weht von den ersten aufsteigenden Noten und dann im Umfeld der – beim ihm – sehr leise zitternd in Nebel getauchten Tonrepetitionen ein ganz eigentümlich musikalischer Wind. Angekündigt wird Ungewöhnliches – und tatsächlich: Barto fegt und züngelt durch die hochvirtuosen Wechselfälle dieses Stückes wie im Zustand wachen Deliriums. Wir erleben eine schier abenteuerliche Fahrt durch die Geisterwelt der Pyrenäen, eine radikale Neuinszenierung der viel gespielten, mittlerweile – wenigstens technisch – von zahllosen Jungpianisten bewältigten Klavierhürde. Ich musste an die alte, ungeheuer aufgeregte, rabiate Aufnahme von Charles Rosen denken – die freilich, was gegensteuernde Disziplin und klangliche Ausformung anbelangt, mit Bartos neuer Einspielung nicht zu konkurrieren vermag.
In den Miroirs spürt Barto eine Menge an Möglichkeiten auf, sich abweichend von der gestalterischen Generallinie zu äußern, freilich immer in Nähe zu Ravels Notationen. Besonders ausgekundschaftet in ihren Regungen und Bebungen lassen die Oiseaux tristes ihre Flügel hängen. Geradezu spür- und greifbar entwickeln sich die ozeanischen Vorgänge unter dem Kiel der Barque. Für mich überraschend die zurückhaltende, elegante Behandlung der (allzu)oft im Etüden-Gestus herauskatapultierten Tonwiederholungen in den Eckteilen von Alborada del gracioso. Hier konzentriert sich Barto auf das Attribut „gracioso“ – ein pianistisches Benehmen, das auch für wichtige, illustrierende Passagen der „Wasserspiele“ verbindlich ist. An Feinheit, Durchsichtigkeit und ins Akustische transferierter Feuchtigkeit ist diese bis in den letzten Winkel einer Partitur vordringende Deutung wohl kaum zu übertreffen. So liegt es nahe, sich vorzustellen, wie Barto wohl mit Liszts Les jeux d’eau à la Villa d’Este verfahren würde. Ja mehr noch: Wie würde er sich so manchen anderen Titel aus den Années oder auch aus den in ihrer Gesamtheit so selten beachteten Harmonies poètiques et réligeuses zu seinem Eigen machen?
Vergleichsaufnahmen
Gaspard de la nuit: Benedetti Michelangeli (Music & Arts CD 817, Philips 456 901-2, Multisonic 310193-3/ Prag 1957), Batagov (arbiter 102), Babayan (Connoisseur Society 4195), Argerich (EMI 557101 2), Zacharias (EMI 557029 2), Rische (Koch 3-6744-2), Angelich (Lyrinx 170), Cahill (New Albion Records 096), Licad (MusicMasters 67172-2), Helfgott (RCA 57813 2), J.Margulis (HH M&M 39811-2), Ousset (Berlin classics 0182522 ART), Ashkenazy (Philips 456 715-2), Argerich (Philips 456 700-2), Gulda (Philips 456 817-2), Achúcarro (ensayo ENY-CD-9808), Gieseking (Music & Arts 1098), Magaloff (Orfeo C 531001 B), Casadesus (Sony MH2K 63316), Endres (Oehms OC307), Bavouzet (MDG 604 1190-2). Tharaud (Harmonia mundi HMC 901811.12), Badura-Skod (Genuin 03016), Pogorelich (DG 459045-2), Lonquich (ECM 4724002), Lakissova (Sony SMK 93830), Noshima (Reference Recordings RR-CD 35), Chen (Van Cliburn Competition 2005/Harmonia mundi HMU 907406), Aimard (Warner 2564 62160-2), Rosen (Epic /LP)
Peter Cossé † [23.03.2007]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
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CD/SACD 1 | ||
Maurice Ravel | ||
1 | Gaspard de la nuit | |
2 | Miroirs | |
3 | Jeux d'eau |
Interpreten der Einspielung
- Tzimon Barto (Klavier)