Solo Musica SM106
1 CD • 72min • 2003
23.02.2007
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Klassik Heute
Empfehlung
Kaum hatte ich meine euphorische Lobeshymne auf die Produktion des Casal-Quartetts mit Werken von Schulhoff, Kaminski, Busch und Ullmann angestimmt (Telos Music Records, TLS 111), kam mir eine weitere Produktion dieses erstrangigen Schweizer Quartetts auf den Tisch. Sie zwingt mich nun, meine Jubelgesänge noch zu steigern: Der Titel “Tango Sensations” trifft völlig ins Schwarze. So heißt gleichzeitig eine 25-minütige Suite aus fünf Tangos für Bandoneon und Streichquartett von Astor Piazzolla, die sich auf den Tracks 12 bis 16 dieser erneut sensationellen CD befindet. Als Gast ist der junge Bandoneonista Michael Zismann dabei, der sich – wie hier deutlich zu hören – erfolgreich anschickt, in die Fußstapfen legendärer Spieler wie Dino Saluzzi, Luis di Matteo oder Juan José Mosalini zu treten. Gerade einmal Mitte Zwanzig, ringt der Schweiz-Argentinier seinem Instrument Ausdrucksfacetten ab wie einer, der schon alles vom Leben gesehen hat. In diese fünf Miniaturen presste Piazzolla 1989 praktisch die Essenz seines Tango Nuevo – komplexe Harmonik, dichte Steigerungen und eine subtile Instrumentierung der eigentlichen Tango-Rhythmen, die nicht mehr überwiegend vom Baß getragen werden, sondern in einer fast an Bach erinnernden Polyphonie “konzertant” auf die fünf Stimmen aufgeteilt werden. Zum Ausdruck gebracht werden Seelenzustände, wie sie typisch sind für Menschen, die in den Barrios von Buenos Aires leben, der Wiege des Tango: “Schlafend”, “Liebend”, “Beklommen”, “Verzweifelt” und “Furcht”. Die bis zum Zerreißen gespannte Darbietung übertrifft tatsächlich meine bisher favorisierte Aufnahme mit Piazzolla selbst und dem Kronos Quartett. Ähnliches gilt für die zwölf weiteren Tangos von Piazzolla, die überwiegend vom Geiger der Formation, Markus Fleck, für Quartett bearbeitet wurden, um, wie er schreibt, “überhaupt das eine oder andere Stück für Streichquartett aufführbar zu machen”. Daran ist nichts auszusetzen, da es auch von Piazzolla selbst etliche seiner Stücke in verschiedenen Eigenbearbeitungen gibt. Das letzte Stück der CD, die berühmte Ballada para un loco, wurde in der Art einer Zugabe für Klarinette und Quartett bearbeitet. Nina Janßen vom Delos-Quintett wandelt hier fast schon auf Klezmer-Pfaden.
Das Casal-Quartett hat eine ganz eigene Art, diese Musik zu spielen, die ich faszinierend finde – vor allem verursacht durch ein sehr kontrolliert eingesetztes Vibrato und Portamento: Oft entwickeln sich Töne in einer Phrase zunächst nur mit dem Bogen, ohne jedes Vibrato, und werden erst dann zusätzlich belebt. Das ist ausgesprochen geschmackvoll und überlegt, gibt dem Tango eine fast barock wirkende Beredsamkeit und nimmt ihm zugleich jedes übertriebene Pathos. Nie hört man hier ein Zuviel an “Schmalz”, ohne aber Abstriche an Leidenschaft und Intensität machen zu müssen. Im Gegenteil: Die Tangos von Piazzolla klingen dadurch kompromißlos zugespitzt und auf bestürzende Weise “ehrlich”. Das Ergebnis ist ein fantastischer Brückenschlag von der Klassik zum Tango, der Freunde beider Richtungen gleichermaßen entzücken dürfte. (www.casalquartett.de)
Dr. Benjamin G. Cohrs [23.02.2007]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Astor Piazzolla | ||
1 | Butcher's Death | |
2 | C'est l'Amour | |
3 | Michelangelo '70 | |
4 | Milonga del Angel for Piano (1990) | |
5 | Fuga | |
6 | Grela | |
7 | Oblivion | |
8 | Escualo | |
9 | Lo que vendra | |
10 | La Casita de mis Viejos | |
11 | Loca Bohemia | |
12 | Five Tango Sensations for Bandoneon and String Quartet | |
13 | Chiliquin de Bachin (Ballada para un Loco) |
Interpreten der Einspielung
- casalQuartett (Ensemble)