cpo 777 146-2
1 CD • 53min • 2004
09.05.2006
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
„Selbstmitleid ist so verdammt unproduktiv. ... Glaubst Du, daß man eine einzige Note schreiben kann, wenn man dasitzt und sich selbst bemitleidet?” Abgesehen davon, daß es in der Musikgeschichte bekannte und weniger bekannte Beispiele wie etwa Mieczyslaw Weinberg (Moshe Wainberg) gibt, die das Gegenteil von Allan Pettersons These beweisen, war auch der singuläre schwedische Sinfoniker diesbezüglich nicht ganz hasenrein: Als er 1975 nach einem Mißverständnis den Stockholmer Philharmonikern „für alle Zukunft” (in Wahrheit nur vorübergehend) die Aufführung seiner Werke verbot, erschien in Dagens Nyheter ein Jammermonolog des Komponisten, der Bände spricht ...
Es ist halt vielleicht doch geraten, den Mund zu halten und die Feder für das zu nutzen, was man am besten kann. Für Allan Petterson bedeutete das definitiv: das Komponieren großer und größter Zusammenhänge, und was immer der persönliche Antrieb gewesen sein mag, der diese Werke zeitigte – Selbstmitleid, Wut, Haß oder womöglich sogar jene Art von Traurigkeit, die noch unter Tränen schaut, ob andere auch bloß die Verzweiflung mitkriegen –, das sollte nach meinem Dafürhalten bei der Anhörung dieser Musik keine Rolle spielen, weil wir sonst mit einer autobiographischen Programmatik zu tun bekämen, die am Ende ein ähnlich pelziges Gefühl auf der Zunge hinterläßt wie die Qualitätsweine der berühmt-berüchtigten Firma Palhuber & Söhne.
Manfred Honeck muß das ähnlich empfunden haben, als er im Herbst 2004 das Sinfonieorchester des Schwedischen Rundfunks sowie die beiden grandiosen Chöre bei der vorliegenden Einspielung leitete: Seine Darstellung der zwölften Sinfonie ist weder wütend noch hysterisch oder larmoyant – obwohl Allan Petterson hier neun wahrlich mitleidheischende Gedichte des chronischen Aufrührers Pablo Neruda zusammengestellt und zu einer Art von Requiem für die Unterprivilegierten gefügt hat, das nach einer entsprechenden Realisation förmlich schreit.
Es wäre nun also ein leichtes gewesen, diese mehr als fünfzigminütige Komposition in permanentem Rasen und Toben dahinklagen zu lassen mit dem Resultat, daß sie – womöglich von irgendwelchen Masochisten preisgekrönt – auf immer in den hintersten Winkeln der Sammlung verschwunden wäre. So aber, durch die von Anfang bis Ende riesenhaft gestraffte und doch nicht durchgeprügelte Partitur, entsteht ein ernstzunehmendes, weil über subjektive „Leid-Erfahrungen” weit hinausgehendes Chorwerk, das gerade deshalb fesselt und mitreißt, weil die musikalischen Wogen uns dahintragen und wir nicht von Tränenströmen fortgeschwemmt oder unablässigem Peitschenknallen vorangejagt werden. Ohne daß Honeck die Tempi herunterschraubte – im Gegenteil, sie sind enorm flott –, entsteht Zeit zum Nachhören und Interesse am Wiederhören, neues Interesse auch am gesamten Schaffen des schwedischen Eigenbrötlers, der ohne jede Frage einen der markantesten sinfonischen Zyklen des 20. Jahrhunderts geschaffen hat. Ob er dazu nun, wie Schiller die faulen Äpfel und Reger das Bier, Selbstmitleid oder Wut nötig hatte, spielt aus heutiger Sicht längst keine Rolle mehr.
Rasmus van Rijn [09.05.2006]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
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CD/SACD 1 | ||
Allan Pettersson | ||
1 | Sinfonie Nr. 12 (De döda på torget) |
Interpreten der Einspielung
- Swedish Radio Choir (Chor)
- Eric Ericson Chamber Choir (Chor)
- Swedish Radio Symphony Orchestra (Orchester)
- Manfred Honeck (Dirigent)