RCA 82876 69283 2
2 CD • 1h 26min • 2005
09.03.2006
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Daß es sich bei Schuberts vierhändiger Klaviermusik vielfach um verkappte Orchesterwerke handelt, hat als erster Robert Schumann vermutet. In der Tat suggeriert der weiträumige Klaviersatz oft orchestrale Klangfarben mit Tutti und Soli, und es liegt nahe, daß Schubert mangels Aufführungsmöglichkeiten für Orchesterwerke sich dieses Genres als Ersatz und Experimentierfeld bediente, zumal er dafür auch eher Chancen zur Veröffentlichung sah. Verschiedene gelungene Orchestrierungen (etwa die des Grand Duo durch Joseph Joachim) weisen ebenfalls in diese Richtung. Von daher erscheint es durchaus legitim, dass das russische Ex-Wunderkind und der klavierspielende amerikanische Stardirigent für ihre Darbietung am 1. Mai 2005 nicht (wie vorgesehen) an einem Instrument, sondern an zwei gegenüberstehenden Konzertflügeln Platz nahmen, was nicht nur mehr Bewegungsfreiheit, sondern auch differenziertere Pedalisierung und vor allem größeres Klangvolumen beschert. Immerhin galt es die – bei diesem Event natürlich ausverkaufte – Carnegie Hall zu füllen.
Die Hauptwerke des Abends – die f-Moll-Fantasie und das (nachträglich von dem Verleger Diabelli mit dem Titel Lebensstürme ausgestattete) a-Moll-Allegro aus Schuberts letztem Lebensjahr sowie die vier Jahre früher entstandene (und nach Schuberts Tod als Grand Duo veröffentlichte) C-Dur-Sonate – lassen den Bereich unterhaltender Hausmusik weit hinter sich. Es sind eindringliche Auseinandersetzungen mit der Sonatenform, innovativ in der Anlage, kühn in der Harmonik und von ungeheurem Reichtum an Stimmungen und Schattierungen. Von letzterem scheinen Kissin und Levine weitgehend unberührt, denn ihre Wiedergabe huldigt in erster Linie der pianistischen Brillanz und einer perkussiv akzentuierten Motorik. Alles läuft tadellos glatt und sauber – doch ohne eine Spur von echter Anteilnahme. Weder überträgt sich die leidenschaftliche Kraft, mit der sich im Allegro die Akkorde auftürmen, noch die latente Unrast, die dem Thema der Fantasie einen doppelbödigen Charakter verleiht. Das Wechselspiel von schwärmerischer Freude und tiefer Melancholie bleibt unerschlossen, Schuberts Seele kommt unter den Händen der virtuosen Routiniers nicht zum Singen. Einzig die fulminant hingelegte Marche caractéristique verdient uneingeschränkte Bewunderung.
Eine Halbzeit von 35 und eine von 40 Minuten, dazu zwei Zugaben – das mag für ein Konzertprogramm noch angehen. Bei zwei CDs mit einer Gesamtspieldauer von nicht einmal 86 Minuten hingegen ist man versucht, von einer Mogelpackung zu sprechen. Hätte man den Auf- und Abtrittsapplaus eingespart und den schneidig, aber ohne jeden Charme exekutierten Militärmarsch weggelassen, wäre man mit einer Scheibe ausgekommen. Zur Dokumentation des Events hätte das ausgereicht.
Sixtus König † † [09.03.2006]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Franz Schubert | ||
1 | Fantasie f-Moll D 940 für Klavier zu vier Händen | |
2 | Allegro a-Moll op. 144 D 947 (Lebensstürme) | |
3 | Grand Duo C-Dur op. 140 D 812 für Klavier zu vier Händen | |
4 | Marche caractéristique Nr. 1 C-Dur D 968B (1826) | |
5 | Militärmarsch Nr. 1 D-Dur D 733 |
Interpreten der Einspielung
- Jewgenij Kissin (Klavier)
- James Levine (Klavier)