Ondine ODE 1084-5D
2 CD/SACD stereo/surround • 1h 39min • 2005, 2006
25.10.2006
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Sich auf Gustav Mahler einzulassen, das bedeutet restloses, radikales Bekenntnis. So jedenfalls sah, sagte und demonstrierte das der selige Klaus Tennstedt. Wie wahr das ist, das läßt sich am Beispiel des vorliegenden Live-Mitschnitts überprüfen, dessen Dirigent – so kommt es mir nach wiederholtem Hören desselben vor – genau den entgegengesetzten Weg einzuschlagen versucht hat. Irgend jemand hätte ihm davon abraten sollen, denn um mit Mahler wirklich zu packen, ist es nicht ausreichend, sich auf die spieltechnisch korrekte Wiedergabe der herkömmlichen Artikulationsanweisungen zu beschränken. Die werden hier, das soll gar nicht bestritten werden, mit äußerster Genauigkeit, fast könnte man sagen: Pingeligkeit beachtet. Keile, Pünktchen, Phrasierungsbögen, dynamische Angaben, alles ist vorhanden. Doch schon der Umgang mit den Tempi und der Agogik steht wiederholt im Widerspruch zu dem, was uns die Partitur erzählt: Nicht nur einmal bremst Eschenbach ab, was Mahler „immer streng im Takt” haben will, und wo die Musik treiben soll, tendiert sie zum Verschleppen, ohne daß damit – was ja noch eine denkbare Umdeutung erkennen ließe – vernehmliche Spannungssteigerungen einhergingen. Vollends dort, wo der Komponist seine seelischen Regieanweisungen notiert hat, wird nicht „wie wütend” oder „wie gepeitscht” dreingefahren, fehlt es an „bewegter Empfindung”; es ist, kurz gesagt, eine Distanzierung des Dirigenten zu verzeichnen, die mir auf einen eklatanten Mangel an persönlichem Bekenntniswillen, ich möchte sogar sagen: an expressivem Mut hinzudeuten scheint. Gleich die gepeinigten, aus Beethovens Sturmsonate übernommenen Einschläge am Anfang des Kopfsatzes, die unsäglichen Schmerzensschreie noch auf den ersten zwei, drei Seiten der Partitur lassen eine recht harmlose Ausführung erwarten; der grausige Zerrspiegel, den das Scherzo dem voraufgegangenen Kopfsatz entgegenhält, scheint angelaufen, so daß anstelle greller Grimassen ein maßvolles Mienenspiel erklingt; was dann aber Öde und äußerste Einsamkeit sein soll, wird Langeweile, und das Andante, dieser „einzige Liebesschrei”, der bis zum Schöpfer dieses Universums dringen sollte – der kommt nun gleich gar nicht mehr vom Fleck. Wie es im Finale dann zu den Hammerschlägen kommt, ist selbst beim größten Wohlwollen nicht mehr nachvollziehbar ...
Eigenartigerweise paßt der Einführungstext zu dieser Auffassung. Dreiviertel der kaum mehr als zweiseitigen Abhandlung kreisen um die nackten Fakten der Entstehung beziehungsweise um Fragen des Notentextes, indessen die tieferen Bedeutungen und Deutungen sich auf ganze 15 Zeilen beschränken – woraus man auf ein stilles Einverständnis zwischen Dirigent und Autor schließen könnte. Wenn schon Igor Strawinsky sich trotz seiner eigenen Auffassung nicht ohne innere Anteilnahme exekutieren läßt, wie soll das erst bei dieser Musik über Musik funktionieren, die so mit Anspielungen, Fremd- und Selbstzitaten, mit Schattenrissen und Schreckensszenen erfüllt, von Ängsten, Zweifeln und dem Verlangen nach Mitleiden durchwirkt ist?
Die wiederum als Live-Mitschnitt beigefügte Einspielung des frühen Klavierquartettsatzes sei nur der Vollständigkeit halber erwähnt. Da war dem Komponisten tatsächlich noch mit einer guten Spieltechnik beizukommen.
Rasmus van Rijn [25.10.2006]
Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
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CD/SACD 1 | ||
Gustav Mahler | ||
1 | Sinfonie Nr. 6 a-Moll (Tragische) | |
2 | Klavierquartett a-Moll |
Interpreten der Einspielung
- David Kim (Violine)
- Choong-Jin Chang (Viola)
- Efe Baltacigil (Violoncello)
- Philadelphia Orchestra (Orchester)
- Christoph Eschenbach (Klavier, Leitung)