naïve OP 30413
3 CD • 3h 05min • 2005
18.01.2006
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Klassik Heute
Empfehlung
Man konnte früher schon manchmal erleben, daß innerhalb kürzester Zeit zwei Neuaufnahmen von Aida oder Madame Butterfly auf dem Plattenmarkt erschienen. Aber wenn jetzt zweimal dicht hintereinander ein Werk wie Vivaldis Tito Manlio auftaucht, erst auf cpo, dann auf naïve, gerät man leicht ins Grübeln und Philosophieren. Vielleicht ist es schon so weit gekommen, daß die Opern der Barockzeit die Aidas und Butterfly‘s unserer Tage sind. Eine Möglichkeit, die gar nichts Beunruhigendes besitzt, denn es beweist nur guten Gusto, wenn ein Werk wie Tito Manlio derzeit so hoch im Kurs steht.
Das dreistündige Werk mit minimaler Handlung und einer wahren Unmasse herrlicher Musik (circa 30 Arien) ist geradezu auf ideale Art und Weise dazu angetan, sich vom puren Schönklang barocker Tonkunst gleichsam einbalsamieren zu lassen. Was sich glücklicherweise noch dazugesellt: daß es derzeit möglich ist, diese schwierigen Instrumental-und Vokalpartien so exzellent, so perfekt und zugleich so empfindungsvoll auszuführen. Auf cpo konnte man ein prächtiges Orchester und ein Ensemble frischer, auf beste Weise geübter Stimmen vernehmen, bei der Version auf naïve, die ein anderes Künstlerteam vorstellt, trifft dasselbe zu. Obwohl beide Aufnahmen in summa absolut als gleichwertig aufzufassen sind, prägen sich dennoch einige Unterschiede ein.
cpo verwendet als Ouvertüre die originale – allerdings in ihrer Ruppigkeit etwas befremdliche – sinfonia, bei naïve steht an dieser Stelle Vivaldis Concerto in G, RV 146. Die musikalische Leiter Ottavio Dantone spornt die Mitglieder der Accademia Bizantina mitunter zu einem wahren Furioso der Leidenschaften an. Insgesamt ist diese Version stürmischer, feuriger, auch effektvoller als die eher milde, sanftmütige Darbietung auf cpo. Für die Baßpartie des grausamen Tito Manlio senior wurde mit Nicola Ulivieri eine optimale Besetzung gewonnen, ebenso steht die grandiose Koloratur-Altistin Marijana Mijanovic als Vitellia als unerreichbare Größe da: Nur Gutes und Lobendes ist über Ann Hallenberg, Debora Beronesi, Barbara Di Castri, Christian Senn, Mark Milhofer, vor allem aber über die gefühlvolle, edel tönende Darstellerin des Manlio, Karina Gauvin, zu sagen. Durchwegs herrliche Stimmen, die das Zuhören zur reinsten Wonne machen. Auf die Mitwirkung von Kastraten-Surrogaten wurde vollständig verzichtet, was absolut zu begrüßen ist. Denn wenn dafür nicht wirklich erstklassige Künstler zur Verfügung stehen, erweist sich die Verwendung von Frauenstimmen als die beste Lösung.
Deutschsprachige Hörer kommen bei dieser Produktion – anders als bei cpo – zu kurz: Begleittext und Libretto gibt es nur auf italienisch, englisch und französisch. Dafür erhält man - gegensätzlich zu cpo - eine ausführliche Präsentation der mitwirkenden Künstler.
Vergleichs-aufnahme(n): Modo Antiquo, Federico Maria Sardelli, cpo 777 096
Clemens Höslinger [18.01.2006]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Antonio Vivaldi | ||
1 | Tito Manlio RV 738 (Dramma per musica, 1719) |
Interpreten der Einspielung
- Nicola Ulivieri (Tito Manlio - Bass)
- Karina Gauvin (Manlio - Sopran)
- Ann Hallenberg (Servilia - Mezzosopran)
- Marijana Mijanovic (Vitellia - Alt)
- Debora Beronesi (Lucio - Mezzosopran)
- Barbara di Castri (Decio - Mezzosopran)
- Mark Milhofer (Geminio - Tenor)
- Christian Senn (Lindo - Bariton)
- Accedemia Bizantina (Orchester)
- Ottavio Dantone (Dirigent)