BIS 1322
1 CD • 70min • 2003
15.09.2004
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Klassik Heute
Empfehlung
Zeitgenössische Musik aus China oder von chinesischen Komponisten mögen nicht jedermanns Sache sein: Immer noch erinnern wir uns der „Segnungen” der Kulturrevolution, der gebrochenen Pianistenfinger, der nur mit viel Reiswein erträglichen „Pekingopern” und solch eigentümlicher Dinge wie des kollektiv-rachmaninoffschen Klavierkonzerts Der gelbe Fluß und des Butterfly Lovers’ Concerto.
Zum andern ist die Avantgarde zum Teil faszinierend (der 1951 geborene Qigang Chen etwa hat auf seinem west-östlichen Diwan durchaus erlesene Synthesen ersonnen), zum Teil aber auch ein wenig peinigend wie etwa das On Taoism und andere Produktionen des international hofierten Tan Dun (* 1957), die gelegentlich so klingen, als sei man eben dabei, die edleren Körperteile der Ausführenden zu malträtieren.
Und nun also Musik von Zhou Long, der 1953 in Peking das Licht der Welt erblickte. Anfangs noch, im ersten Satz der Gedichte aus der Tang-Dynastie (1995) für Streichquartett und Orchester, scheint alles in den gewohnten Bahnen aus dem Reich der Mitte zu verlaufen. Doch nach einigen Minuten, die von den bekannt rituellen Accelerandi und Ritardandi geprägt scheinen, wendet sich plötzlich das Blatt. Ein erster kräftiger Ausbruch gibt Anlaß zu der Vermutung, daß Zhou Long sich nicht beim Jasmintee aufhalten wird. Und richtig: Die viersätzige Komposition entwickelt sich zu einem veritablen Konzert, in das man sich förmlich verlieben kann angesichts des feinen Geschmacks, mit dem hier scheinbare Unvereinbarkeiten so reibungslos ineinander geführt werden, daß selbst die subtilen Pinselstriche der musikalischen Stiummungsbildchen wie selbstverständlich aus dem Gefüge emporsteigen – ohne allen Postkartenkitsch oder ohne jede geographische Alibifunktion.
Doch es kommt noch besser. Das Quasi-Schlagzeugkonzert Da Qu (1990/91) mit seinem kolossalen Apparat aus Blech-, Holz- und Fellinstrumenten wirkt beim ersten Hören vielleicht ein wenig zeremoniös (immerhin beschwört der Komponist die idealische Schicht einer alten Hofmusik), und die abschließende kurze Hymne Die Zukunft des Feuers (2001/03), eine kraftvolle, lebensbejahende Musik für Chor und Orchester, dürfte in ihrer optimistischen Haltung dem einen oder andern eingefleischten Ethnofanatiker gegen den Strich gehen, weil alles ja so furchtbar ist und man eines bessern gewiß nicht belehrt werden will. Genau das aber könnte passieren – und erst recht bei Anhörung des phänomenalen Gedichtes von Taigu (2003), das mich wie kaum ein neues Stück der letzten Jahre förmlich aus dem Sessel gerissen hat: Zhou Long legt in dem dreisätzigen, von einer Klarinette und immensem taigu-Schlagzeug beherrschten Werk ein Temperament an den Tag, nach dem man süchtig werden kann. Wer will, kann mich herzlich gern einen naiven Tölpel schelten, weil mir die Urgewalt des Rhythmus und der nachvollziehbaren Klangereignisse näher ist als das Gezwirbel irgendwelcher Klangfetischisten, die vier Stunden für ein einziges Streichquartett brauchen und sich dann auch noch wundern, wenn ihnen das Publikum ausbleibt. Die vier auf der vorliegenden CD mitreißend eingespielten Stücke von Zhou Long hingegen haben das Zeug zu einer ganz großen Karriere – und wenn Das Gedicht von Taigu nicht innerhalb der nächsten Jahre ein internationaler Hit wird, dann weiß ich auch nicht ...
Rasmus van Rijn [15.09.2004]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
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CD/SACD 1 | ||
Zhou Long | ||
1 | Poems from Tang für Streichquartett und Orchester | |
2 | The Rhyme of Taigu | |
3 | Da Qu für Schlagzeug und Orchester | |
4 | The Future of Fire für Chor und Orchester |
Interpreten der Einspielung
- Shanghai String Quartet (Ensemble)
- Jonathan Fox (Schlagzeug)
- Philharmonic Chamber Choir Singapore (Chor)
- Singapore Symphony Orchestra (Orchester)
- Lan Shui (Dirigent)