BIS BIS 1336
1 CD • 59min • 2002
03.05.2004
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Vor vielen Jahren provozierte ein Philosoph mit der Frage: Musik wozu, weil er in seinem Bemühen, selbst einen Adorno zu übertreffen, die Ansicht vertrat, es sei alles Sagenswerte bereits gesagt. Heute wissen wir: Er hat sich geirrt. Nicht nur wird noch immer Musik geschrieben, sondern aus dem, was geschrieben wird, weicht auch zunehmend jene Starre, die in der Zeit des puren Kalküls den natürlichen Fluß der Dinge gefroren hatte.
Der Stand (!) des Materials löst sich in neuem Wohlgefallen auf wie Tiefkühlkost in der Sonne, und so ist es kein Wunder, daß beispielsweise der 55jährige Finne Kalevi Aho bei der Uraufführung seiner elften Sinfonie am 10. März 2000 in Lahti nach eigenen Worten einen der größten Triumphe seiner sinfonischen Karriere erlebte.
Dieses grandiose Werk entstand für die sechs Schlagzeuger des Ensembles Kroumata und für eine beachtliche Orchesterbesetzung, in der selbst ein Heckelphon zum Einsatz kommt – und es ist das ideale Beweismittel dafür, daß das Reißbrett seine Schuldigkeit längst getan hat: Man muß nur Ahos eigene Sinfonik aus den siebziger oder achtziger Jahren als Vergleich heranziehen, und schon wird man entdecken, wie sehr sich der Komponist aus der materialistischen Falle befreit hat. Die weiten, von natürlichem Pulsieren und exquisiten Klängen durchzogenen Landschaften lassen sogar wieder Raum für zitathafte Anspielungen wie im zweiten Satz, wo man zeitweilig in Regionen zwischen Mahlers Fischpredigt und Schostakowitschs galoppierende Phantasmagorien versetzt wird, ohne daß je der Eindruck eines einfallslosen Patchworks entstände.
Noch ursprünglicher und folglich noch packender sind die vier sinfonischen Tänze, mit denen Kalevi Aho im Jahre 2001 das unvollendete Ballettprojekt Pyörteitä (Wirbel) seines Landsmannes Uuno Klami (1900-1961) abschloß: Von dem Tanzspiel, das sich – wie könnte es anders sein – an dem Nationalepos Kalevala entzündete, hatte Klami bei seinem Tod offenbar nur den zweiten Akt vollendet. Vom ersten Akt gab es lediglich einen Klavierauszug, und das Finale scheint allenfalls im Kopf des Komponisten existiert zu haben.
Kalevi Aho hat mindestens zehn Jahre an einer Aufführungsfassung dieses Balletts gearbeitet, und das Sinfonieorchester von Lahti unter der Leitung von Osmo Vänskä hat das Projekt für BIS dokumentiert. Nach dem von Aho restaurierten ersten Akt (BIS 696) und den von Klami selbst zusammengestellten Suiten aus dem zweiten Akt (BIS 656) bieten Ahos Sinfonische Tänze einen zwar hypothetischen, aber dennoch rundum überzeugenden Schluß. Ganz eindeutig hatte der Komponist bei Abfassung der vier Sätze seine Hand am Puls der rund vierzig Jahre älteren Musik, und doch ist die atmosphärisch und klangsymbolisch stimmige Fortsetzung kein Anhängsel oder gar eine „Rekonstruktion”. In ihrem Verhältnis zu Klamis Ballett-Fragment erinnert sie vielmehr ein wenig an Colin Matthews’ gelungenen Versuch, Gustav Holsts Planeten um einen Pluto-Satz zu erweitern: Hier wie dort schwingt etwas vom ursprünglichen Idiom nach, ohne aber die Selbständigkeit der neuen Komposition zu beeinträchtigen.
Im Falle des Balletts Wirbel wäre freilich eine Kopplung wünschenwert, die die – hinreißend musizierten – Teile logisch miteinander verbindet. Aber vielleicht soll ja zunächst noch der komplette zweite Akt aufgenommen werden, bevor wir die ganze Geschichte um den sagenhaften Sampo (einen nordischen Philosopher’s Stone oder Stein des Weisen) erfahren.
Dr. Eckart van den Hoogen [03.05.2004]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
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CD/SACD 1 | ||
Kalevi Aho | ||
1 | Symphonic Dances (Sinfonische Tänze, Hommage à Uuno Klami) | |
2 | Sinfonie Nr. 11 für 6 Perkussionisten und Orchester (1997/1998) |
Interpreten der Einspielung
- Kroumata Percussion-Ensemble (Schlagzeugensemble)
- Lahti Symphony Orchestra (Orchester)
- Osmo Vänskä (Dirigent)