Harmonies poétiques et religieuses
Hyperion CDA67445
2 CD • 84min • 2002
30.03.2004
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Mit Liszts großangelegter Sammlung (der Begriff „Zyklus“ verbietet sich!) war der schottische Pianist Steven Osborne in letzter Zeit häufig und zumindest in Auszügen zu hören. So ist es nicht überraschend, wenn bei Hyperion die insgesamt zehn glühenden, hymnischen, zwischen Helligkeit und Düsternis gleichsam vermittelnden, ja versöhnenden Stücke in Osbornes Les- und Spielart herausgebracht werden. Und dies auf zwei CDs, denn mit knapp 84 Minuten Gesamtspieldauer wird das Zeitlimit einer Silberscheibe überschritten... Es ist zu hoffen, daß sich dies nicht allzu sehr auf die Kosten dieses Doppelalbums auswirkt. Doch der rührige, überaus fähige Osborne dürfte mittlerweile genügend Anhänger haben, die sich jede seiner Hyperion-Publikation nach Hause holen. Und dies zu Recht! Denn Osborne weiß mit den Schlichtheiten der Lisztschen Religioso-Diktion ebenso sicher und prägend umzugehen wie mit den komplizierteren Klang- und Melosschichtungen (etwa der mysteriösen, raffinierten Begleitfigurationen im frühen Verlauf der Bénédictions).
In Konkurrenz zu seinem Label-Kollegen Leslie Howard, dem wir Liszt-Verehrer die Dokumentation des Gesamtwerks bis zur letzten Stelle hinter dem musikologischen Komma verdanken, darf man Osborne pianistisch und in allen Fragen der atmosphärischen Ausgestaltung den Vorzug geben. Auf eine interpretatorische Finesse, ja mehr noch: Ungemütlichkeit muß man im Rahmen dieser Edition hinweisen. Den Beginn der berühmten „Funérailles“ akzentuiert Osborne überraschend beschleunigt und Akkord-gepunktet. Nichts von der vertrauten, schwerblütigen Schattigkeit wird hier angestrebt. Es ist, als ob Osborne dieses Trauerspiel beschönigen, in seiner Schwere zu pulverisieren gedenkt. Wie entschieden sich der Pianist hier von gestalterischen Usancen entfernt, belegt eine mir gerade zugesandte DVD-Einspielung mit Martha Argerich. Es handelt sich um einen Mitschnitt von Radio Canada vom 31. Juli 1977, der – zusammen mit dem Schumann-Konzert und mit Ravels Jeux d’eau – bei VAI erschienen ist (DVD 4210). Hier ertönen wirklich dunkle, schwarze Glockentöne – und gegen Ende, wenn die linke Hand in Einzelnoten, dann in Oktaven zu kreiseln beginnt, da erleben wir jenen Tastendonner, den sich Osborne in seiner ernsthaften Liszt-Darbietung untersagt.
Peter Cossé † [30.03.2004]
Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Franz Liszt | ||
1 | Invocation S 173 Nr. 1 | |
2 | Ave Maria S 173 Nr. 2 (1852) | |
3 | Bénédiction de dieu dans la solitude S 173 Nr. 3 | |
4 | Pensée de morts S 173 Nr. 4 | |
5 | Pater noster S 173 Nr. 5 für Klavier | |
6 | Hymne de l'enfant à son rêveil S 173 Nr. 6 | |
7 | Les Funérailles S 173 Nr. 7 (aus: Harmonies poétiques et religieuses) | |
8 | Miserere d'après Palestrina S 173 Nr. 8 | |
9 | Andante lagrimoso S 173 Nr. 9 | |
10 | Cantique d'amour S 173 Nr. 10 |
Interpreten der Einspielung
- Steven Osborne (Klavier)