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ARD-Musikwettbewerb Ein Fenster zu... Kompass

ARD-Musikwettbewerb

Gestochen scharfes Spiel verlangt

Erstes Semifinale im Fach Harfe beim 72. Internationalen ARD-Musikwettbewerb

Insgesamt 41 Bewerberinnen und Bewerb aus 17 Nationen waren im Fach Harfe beim 72. Internationalen Musikwettbewerb der ARD München angetreten, sechs von ihnen aus vier Nationen schafften es ins Semifinale, das am 3. September im Konzertsaal der Musikhochschule ausgetragen wurde. Auf dem Programm stand das Harfenkonzert B-Dur HWV 294 von Händel, die Fantasie A-Dur für Violine und Harfe op.124 von Camille Saint-Saëns sowie die Auftragskomposition En pointe sèche von Édith Canat de Chizy, die viel Pedalarbeit, alle Spieltechniken und viele Rhythmuswechsel fordert. Der Titel lässt sich in etwa übersetzen wie „mit der Kaltnadel gestochen“. Man musste also gleichsam gestochen scharf spielen. In der Tat war auch das Spiel mit einem Metallstift verlangt. Als Orchester diente das Münchner Kammerorchester unter seiner Konzertmeisterin Yuki Kasai, als Violinistin Christel Lee. Alle Musiker agierten hochkonzentriert und nimmermüde – obwohl sie sechsmal dasselbe spielen mussten. Unterschiedlich waren indes die von einem Helfer jeweils hereingerollten Harfen, eine schöner als die andere.

Verhaltenes Spiel und viel Energie

Marcel Cara aus Frankreich begann, blieb aber bescheiden, brav und etwas bieder und blieb damit unter seinen Möglichkeiten, wie die scheinbar kundige Sitznachbarin verriet, die auch die Vorrunden erlebt hatte, er spielte zu fzart und dezent, füllte seine Rolle als Solist nicht aus. Die Auftragskomposition buchstabierte er, erfüllte sie nicht mit Leben.

Dann kam Tjasha Gafner auf die Bühne, schon mit blitzendem Siegerlächeln und ausgiebiger Kommunikation mit dem Orchester und dem Publikum mittels sprechenden Mienen- und Augenspiels und einem Lächeln um die Mundwinkel. Selbstbewusst und siegessicher war ihr Auftreten, so dass sie im Händel-Konzert sofort unhörbar mit viel Drive die Führung übernahm mit einem sehr dezidierten, silbrig glitzernden vollen Klang – als habe jemand den Lautstärkeregler hochgedreht. Schöne lange Phrasierungsbögen machten das Larghetto spannungsreich. Schon die Eröffnungstakte der Saint-Saëns-Fantasie waren Aufforderung und Versprechen zugleich, sie musizierte auf Augenhöhe mit der Geigerin und spendete dieser immer wieder aufrauschend viel Energie. Herrisch und geradezu elektrisierend begann sie En Pointe sèche ließ bei den Basstönen die ganze Harfe mitklingen und produzierte großen Klangfarbenreichtum. Da wusste man: eine Favoritin für das Finale!

Noelia Cotuna Rizeabot einen wesentlich runderen und weicheren, wenn auch volltönenden Klang, blieb aber in sich gekehrter und hörte sich wesentlich ruhiger und abgeklärter an: wohl kein Wesensmerkmal für einen Sieg. Die Fantasie ging sie poetischer, romantischer, fantasieschweifender an, so dass man meinte, die Geigerin müsse sie an- bzw. vorantreiben. Rizea ließ sich gerne antreiben, blieb aber nur „schön“. Die Auftragskomposition verwandelte sie sich ganz persönlich an, schmiegte sich dabei richtig an ihre Harfe, entdeckte eine leicht jazzige Rhythmik, ließ die Saiten lange nachklingen und wirkte insgesamt souverän und gelassen: Aber Gelassenheit ist wohl auch keine Sieges-Kategorie.

Temperament, Tiefang und beseelter Gesang

Als Temperamentsbündel („wie ein losgelassenes Wildpferd“, meinte die Sitznachbarin) kam nach der Pause Alexandra Bidi aus Frankreich auf die Bühne. Das Händel-Konzert belebte sie mit viel Legato, zielgerichteten Läufen, Echo-Effekten, großer dynamischer Vielfalt und freudigem Schwung. Im Larghetto überzeugte sie mit atmender Phrasierung und Hervorhebung (oder Veränderungen?) von Nebenstimmen. In der Fantasie agierte sie wie eine Zauberharfe volltönend und graziös zugleich, leicht geheimnisvoll mit lockenden Glockentönen, immer im Dialog mit der Geige, deren Themen sie aufnahm und für die Harfe adaptierte: Beide beflügeln sich gegenseitig. Auch der Auftragskomposition gewann sie etwas Magisches ab, produzierte im Diskant gläserne Piano-Klänge, mit einem starken Metallstift erzeugte sie kräftiges Saitenschnarren. Vor allem aber erweckt sie den Eindruck von Geschlossenheit trotz der disparaten Stückteile und macht damit großen Eindruck - obwohl man dies Stück jetzt schon viermal gehört hat: auch sie eine Sieges-Favoritin.

Mit Elan und silbrigem Klang

Als eher ätherische Erscheinung präsentierte sich Lea Maria Löffler aus Deutschland. Sie zeigte sich als echte Solistin, die – wenn auch oft mit geschlossenen Augen – im Händel-Konzert die Führung übernahm. Ganz klar und geradezu durchsichtig war ihr Spiel mit zart-warmem Klang, mit beseeltem Geang im Larghetto und quirliger Anmut im Finalsatz. Die Wirkung aufs Publikum war groß. Schwungvoll-energischer Elan prägte ihr Spiel beim Saint-Saëns, viel Silbriges lag im Klang – aber man spürte, was sie will und dass sie will, man spürte also das Geplante und Gewollte. Viel Kalkül war auch in der Interpretation des Auftragsstücks, man hört, wieviel sie denkt beim Spiel.

Sehr natürlich und sympathisch war das Auftreten von Johanna Dorothea Görißen aus Deutschland. Das Händel-Konzert nahm sie in flottem Tempo mit selbstbewusstem Zugriff, strömendem Duktus und fast swingendem Rhythmus, entwickelte im Larghetto melodische Struktur und feinnervige Rhythmik. Die Saint-Saëns-Fantasie klang bei ihr sehr natürlich und selbstverständlich, aber nicht unbedingt mitreißend. Auch das Stück von Canat de Chizy war ein bisschen stückweise aneinandergereiht, insgesamt gut, aber wohl nicht gut genug interpretiert.

Die internationale Jury unter Vorsitz von Marie-Pierre Langlamet hatte es da wohl eher leicht. Für das Finale am 6. September wurden nominiert: Tjasha Gafner, Alexandra Bidi und Lea Maria Löffler.

Rainer W. Janka (04.09.2023)

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