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ARD-Musikwettbewerb Ein Fenster zu... Kompass

ARD-Musikwettbewerb

Überwiegend pianistische Souveränität

Semifinale im Fach Klavier beim ARD-Musikwettbewerb 2022

Zwei erstaunliche Tatsachen beim Semifinale Klavier des 71. Internationalen Musikwettbewerbs der ARD: Es kamen nur sechs Pianisten bis dahin – keine der 25 weiblichen Kandidaten. Und: Nur ein Kandidat aus Asien, sonst alles Europäer, darunter sogar zwei aus Deutschland. Gespielt wurden nur Mozart-Klavierkonzerte, zusammen mit dem unermüdlich und bis zum Schluss hellwachen und konzentrierten Münchener Kammerorchester unter ihrem Konzertmeister Daniel Giglberger.

Akrobatische Spielweise verlangt

Aber Aufgabe war auch die Uraufführung der zeitgenössischen Auftragskomposition: Márton Illés hat dafür Négy tárgy: Vier Objekte für Klavier komponiert – eine nicht nur technische, sondern vor allem logistische und auch akrobatische Herausforderung. Die Pianisten mussten ihren Flügel vorher präparieren, eventuell einige Saiten abkleben, den Deckel mit dem Notenständer abbauen oder anders platzieren, sich für gedruckte Noten oder Tablets entscheiden. Vor allem aber mussten sie nicht nur Tasten drücken, sondern, mit einem Bein am Pedal, sich vornüberbeugen und an den Saiten zupfen, rupfen oder mit einem Plektrum oder sogar Fingernagel reißen und damit Arpeggien produzieren. Erstaunlich dabei war, wie doch diese ganz neue Komposition bei jedem Spieler anders klang. Für den Rezensenten waren das Spiel des belarussischen Denis Linnik sowie des Deutschen Jonas Stark am klangstärksten, rauschendsten, am strukturiertesten war das des Südkoreaners Junhyung Kim, der mit einem Assistenten kam und das Kunststück fertigbrachte, bei diesem ganz neuen Stück eigene Klänge einzubringen.

Einmal brav, einmal bestimmt

Bei den Klavierkonzerten zeigte Zhora Sargsyan aus Armenien die schwächste Vorstellung mit einer nur braven Ausstrahlung. Sein Klavierkonzert KV 415 war insgesamt zu wenig differenziert gespielt, der Anschlag zu dauerkräftig, nicht kantabel genug. Viel gewinnender war das Auftreten von Denis Linnik aus Belarus beim Konzert KV 459: beseelt, spritzig, geistvoll spielend, mit ständigem Blickkontakt zum Orchester, zauberhaftem Glasperlenspiel im Kopfsatz, einem strömendem Legato voll Leuchtklang im Allegretto und spielfreudiger Bewegtheit im Finalsatz. Das Publikum schloss ihn sogleich ins Herz und bejubelte ihn, auch der Rezensent war begeistert.

Johannes Obermeier aus Deutschland hatte KV 459 gewählt: Er trumpfte mit akzentuierter Bestimmtheit auf – für den Rezensenten manchmal zu bestimmt, den langsamen Satz spielte er weich und zart, aber nicht innig genug, die Skalen waren oft nur hurtige Skalen ohne innere Bewegtheit.

Dreimal das A-Dur-Konzert KV 488

Gleich drei Kandidaten hatten das A-Dur-Konzert KV 488 gewählt. Lukas Sternath aus Österreich wählte ein munter schnurrendes Tempo, phrasierte sehr subtil im Adagio, seine Läufe im Finalsatz waren nie ganz gleichmäßig: gewollt oder nicht gewollt?

Jonas Stark aus Deutschland zeigte das Mozart-typische singende Legato, rhythmische Gespanntheit, ansteckende Spielfreude, sanfte Bewegtheit in jeder sorgsam ausformulierten Phrase. Bei ihm schien kein Ton nebensächlich zu sein, alles hörte sich organisch gewachsen und eingebunden an, selbst in die aufsteigenden Skalen der Kadenz baute er noch erwartungsvolle Spannung ein. In seinem Gesicht malte sich die musikalische Spannung ab. Klangzauber, der schon Chopin vorausahnen ließ, herrschte im Adagio, quirlige Springlebendigkeit im Finale, traumwandlerisch waren die gewählten Tempi: Er war einer der Gewinnerpersönlichkeiten für den Rezensenten.

Der letzte von sechs Kandidaten hat es nicht leicht nach schon über drei Stunden konzentriertem Zuhören:

Junhyung Kim aus Südkorea kümmerte dies nicht. Mit ruhig-sicherer Souveränität kommunizierte er rein körperlich mit dem Orchester, zeigte einen sehr zarten und doch variablen Anschlag, überzeugte überhaupt mit duftiger Klangsubtilität und schuf in der Kadenz Spannung durch winzige Verzögerungen. Im Adagio schuf er sich seinen eigenen auratischen Klangraum, verschmolz ganz mit dem Orchester, das er unauffällig zu führen schien. Im Finale riss er das Orchester mit, das ihm nur zu gerne folgte, zeigte großen Ausdruckswillen, obwohl er immer fein und nie tastentigerisch agierte: gewiss ein Finale-Kandidat.

Die Reihenfolge der Preisträgerdes Rezensenten wäre gewesen: Junhyung Kim, Denis Linnik, Jonas Stark. Die Jury unter Vorsitz von Michel Béroff entschied anders: Junhyung Kim, Johannes Obermeier, Lukas Sternath. Zwei (Mittel-)Europäer im Finale – die dritte erstaunliche Tatsache.

Rainer W. Janka (10.09.2022)

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