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ARD-Musikwettbewerb Ein Fenster zu... Kompass

ARD-Musikwettbewerb

Großes Instrument mit kleinem klassisch-romantischen Repertoire

Semifinale Posaune beim ARD-Musikwettbewerbs am 6.10.2022

Die sieben Teilnehmer, die es ins Semifinale der Posaunisten geschafft hatten – normalerweise sind es nur sechs – , hatten die Auswahl zwischen den Solokonzerten von Johann Georg Albrechtsberger und dem von Michael Haydn, das jedoch wohl ursprünglich für Horn oder Viola entstanden sein dürfte. Zudem waren als Pflichtstück zwei neue Konzertetüden des amerikanischen Komponisten und Posaunisten Mike Svoboda zu bewältigen.

Unintuitives Spielgerät

Die Schwierigkeiten der Posaune liegen wie bei allen Blasinstrumenten in der Koordination von Atem, Lippenspannung und Zungenbewegungen, die normalerweise mit den Fingern zusammenspielen müssen. Bei Posaune jedoch ist der gesamte, wesentlich träger reagierende Unterarm gefordert, der in 7 unterschiedliche Positionen gebracht und häufig entgegen der musikalischen Richtung bewegt werden muss, da es mindestens 10 unterschiedliche Lippenspannungen für die Erzeugung von Grund- und Obertönen gibt. Zusätzliche Gemeinheit des Semifinales war, dass von der kleineren – im Orchester kaum noch gespielten – Alt-Posaune für das Pflichtstück auf die große Tenor-Posaune mit Quartventil gewechselt werden musste, was eine erhebliche Umstellung des Ansatzes erforderte.

Berg meets Bebop

Mike Svoboda, seines Zeichens ein freundlicher und humoriger Amerikaner, beginnt die erste Konzertetüde „langsam – as Alban Berg once said“ mit der Albtraumstelle aller Posaunisten aus dem ersten der Drei Orchesterstücke op. 6 von Alban Berg, einem repetierten es2 im pp, das für normal sterbliche Posaunisten bereits außerhalb des erreichbaren Umfangs liegt. Im Verlauf des durch fünf deutliche Einschnitte in Strophen gegliederten, expressionistischen Stücks in freier Tonalität (Anfangs- und Schlusston jeweils es) geht es dann munter über den Umfang der vier Oktaven, die virtuosen Posaunisten zur Verfügung stehen. Eine Stelle in Vierteltönen ist deutlich vernehmbar. Die zweite Etüde spielt mit Be-bop-Elementen in der Art des Free-Jazz. Hier werden quasi die zugehörigen fünf Chorusses nachgeliefert. An technischen Mitteln werden Bariolage (Schnelle Tonwiederholungen in zwei unterschiedlichen Zugpositionen) und Zirkularatmung abgeprüft. Ganz klar ein Pflichtprogramm eines Posaunisten für Posaunisten, durchaus mit viel Humor (Glissandi à la Gershwin). Wenn gekonnt gespielt, durchaus wirkungsvoll.

Überwiegend Albrechtsberger

Bis auf Polina Tarasenko entschieden sich alle Teilnehmer für das Altposaunen-Konzert von Albrechtsberger. Er hatte wie sein Zeitgenosse Johann Georg Wagenseil ein Faible für ausgefallene Besetzungen. Das Posaunen-Konzert könnte – analog zu den Kirchensonaten Mozarts – für gottesdienstliche Zwecke entstanden sein, da in der K&K-Kirchenmusik grundsätzlich drei Posaunen die drei Chorunterstimmen (A,T,B) verstärkten und somit ein Alt-Posaunist jederzeit greifbar war. Es ist dreisätzig und noch im galanten Stil gehalten. Wie schwer das Werk ist, war daran zu sehen, dass kein Proband es komplett unfallfrei meisterte.

Das Häuflein der sieben Aufrechten

Goncalo Nova (Portugal) hatte den wärmsten Ton von allen Semifinalisten und phrasierte im Konzert sehr kantabel. Leider sprachen diverse Töne nicht wie gewünscht an, worunter dann auch die Intonation litt. Die Kadenzen waren ein wenig zu lang. Das Pflichtstück gelang recht ordentlich, wenngleich nicht zu hundert Prozent überzeugend.

Polina Tarasenko (Ukraine) wählte das Haydn-Konzert, das sie aber nur mit Mühe, vielen schlecht ansprechenden Tönen und einer schaurigen Intonation bewältigte. Eine ordentliche Interpretation des Pflichtstücks konnte diesen Eindruck leider nicht wettmachen.

Jonathon Ramsay (Australien) war einer der wenigen, die über Impulse mit dem Orchester kommunizierten. Er artikulierte präzise und mit brillanter Tripelzunge im sehr schnell genommenen Finale. Seine Dynamik war äußerst subtil. Man hatte das Gefühl, dass er in jedem Moment wusste, was er tat. Zudem übertrug sich seine Spielfreude auf das Publikum.

Kris Garfitt erwies sich als gar und fit, wenngleich das leicht zappelige Schäkern mit dem Publikum ein wenig eitel wirkte. Er fügte dem Konzert kleine Verzierungen hinzu und wusste auch mithilfe seiner souveräner Agogik neues Feuer aus dem dritten Albrechtsberger-Durchgang zu schlagen. Zudem war seine Interpretation des Pflichtstücks durchweg spannend.

Tim Ouwejan (Niederlande) blieb etwas blass, was auch an seinen recht spannungslos vorgetragenen Kadenzen lag. Zudem war seine Intonation recht unsicher. Im Pflichtstück unterliefen ihm viele falsche Töne, die im besser gelungenen Bebop-Teil weniger auffielen.

Thomas Mercat (Frankreich) ersparte sich den Wechsel auf die Alt-Posaune und blies den Albrechtsberger souverän und zupackend auf seinem angestammten Tenor-Bass-Instrument, was für eine bärige Kondition spricht. Ihm gelangen die saubersten Triller, was auf dem tieferen Instrument allerdings leichter ist, da die Obertöne dichter beieinander liegen und dadurch Lippentriller in größerer Zahl möglich werden. Ihm gelang die poetischste Interpretation des Pflichtstücks, dessen langsamen ersten Satz er im Sitzen aus dem Bühnenhintergrund spielte, um für den Bebop dann an die Rampe zu treten.

Roberto de la Guía Martínez (Spanien) kommunizierte ebenfalls immer mit dem Orchester. Nach Startproblemen, durch die die Ansprache suboptimal wurde und Triller intonatorisch arg vagierten, konnte er sich gegen Schluss steigern. Die Linienbildung war mir persönlich zu brüchig und nicht dicht genug. Das Pflichtstück hatte er jedoch vermittels Köpfchen analytisch verstanden wie keiner seiner Vorgänger. Offensichtlich liegt ihm das höhere Instrument nicht sonderlich, denn auf dem tieferen klang er im Svoboda wunderbar rund, farbig und sonor.

Dem Münchener Kammerorchester gebührt eine Zulage für die Galeerenarbeit eines sechsfachen Albrechtsbergers.

Im Finale werden wir Roberto de la Guía Martínez, Kris Garfitt und Jonathon Ramsay hören, was mir für den exzellenten Thomas Mercat außerordentlich leid tut.

Thomas Baack (07.09.2022)

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