Decca 466 841-2
1 CD • 62min • 1993, 1995
01.10.2000
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Klassik Heute
Empfehlung
Ohne den unvergleichbaren und unersetzlichen Kompositionsbeitrag von Charles Ives (1874-1954) wäre die Entfaltung europäischer Kunstmusik im 20. Jahrhundert sicherlich nicht dieselbe gewesen. Kaum ein anderer Komponist hat sich so eigenwillig gegen jede Konvention, so musikalisch originell und vor allem so gebändigt knapp äußern können wie Ives. Besonders auffallend an den vorliegenden, weitgehend auf Lyrik basierenden Orchestersätzen ist der zunächst scheinbare starke Gegensatz zwischen der großen Ausdruckstiefe von Ives' immer noch sehr aktuell wirkender Klangwelt und der Eigentümlichkeit seines recht lakonischen Humors. Auch wenn man letzteren als Außenstehender nicht ohne Weiteres "versteht", die enorme Kompetenz seines Handwerks und die Echtheit und Ehrlichkeit seiner Musik bleiben unwiderstehlich.
Wie sehr Ives' Schaffen und Klangästhetik als Ausgangspunkt für manchen späteren Zeitgenossen diente, wird hier offensichtlich: Nicht nur "Vorahnungen" etwa von Milhauds leichtfüßiger Tonsprache sind zu hören (wie von La Création du Monde in Ives' Luck and Work), sondern ebenso von Gershwin, Copland, Bernstein und sogar Prokofieff. Die enorme emotionale Ausdrucksscala von Ives' Musik ist längst legendär: unmittelbar nachdem er den Hörer mit fein strukturiertem klanglichen Tiefsinn fast zu Tränen rührt (wie etwa in Largo: The Indians oder In the Night), schaltet er mühe- und rücksichtslos mittels eines primitiven amerikanischen Volkslieds in seinen charakteristischen Sarkasmus um. Doch mit seiner Connecticut-Bescheidenheit hätte er sicherlich nie zu träumen gewagt, welch unendliche Tragweite die von ihm ausgehenden Wellen noch Zeit seines Lebens haben würden.
Eine große Problematik bei der Musik von Charles Ives ist leider, daß viele der Werke nicht einfach gespielt werden können. Denn es gibt viel Fragmentarisches, viel Unvollendetes, kurz vieles, das ohne eine gewissenhafte und gründliche musikwissenschaftliche Vorbereitung gar nicht recht aufzuführen ist. Aus diesem Grund ist jede Ives-Einspielung nicht nur ein Aufnahmeprojekt, sondern zugleich eine Recherche-Aufgabe. Da der Hörer bei der vorliegenden Edition von solch einer Vorarbeit überhaupt nichts bemerkt, ist die Aufnahme gerade in dieser Hinsicht hervorragend gelungen. Die verschiedenen Stücke, zum Teil Uminstrumentierungen desselben Materials, fließen lückenlos und organisch ineinander, die ganze Produktion wirkt wie ein großer, runder Wurf. Wer viele Ives-Einspielungen gehört hat, wird wissen, wie problematisch ein solches Unternehmen sein kann.
Einmalige Musik, eine bestens gelungene Produktion und allemal ehrliche, überzeugende Aufführungen: diese CD gehört in die Sammlung eines jeden ernsthaften Musiksammlers.
Patrick Donahue [01.10.2000]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Charles Ives | ||
1 | Set Nr. 1 für Orchester (1910/1911) | |
2 | Set Nr. 2 für Orchester (1911/1912) | |
3 | Set Nr. 3 für Orchester (1916/1918) | |
4 | Set for Theatre Orchestra (1906/1911) | |
5 | Set Nr. 5 (The Other Side of Pioneering (Side Lights on American Enterprise)) | |
6 | Set Nr. 6 (From the Side Hill) | |
7 | Set Nr. 7 (Water Colours) | |
8 | Lieder für Sopran und Orchester |
Interpreten der Einspielung
- Susan Narucki (Sopran)
- Sanford Sylvan (Bariton)
- Alan Feinberg (Klavier)
- London Voices (Chor)
- Music Projects London (Ensemble)
- Richard Bernas (Dirigent)