
BIS BIS-CD-927
1 CD • 79min • 1998/99
01.06.2000
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Thomas Sanderling bricht eine Lanze für den fast vergessenen, im ersten Weltkrieg von deutschen Soldaten ermordeten französischen Komponisten Alberic Magnard. Bislang gab es nur zwei Gesamteinspielungen seiner vier Sinfonien unter Michel Plasson (EMI 5 72364 2) und Jean-Yves Ossonce (Hyperion 67030, 67040). Im Vergleich dazu hat Sanderling zunächst einmal das wohl am besten präparierte Orchester, wenn auch die Kollegen aus Toulouse bei Plasson natürlich im französischen Idiom zu Hause sind. Vor allem nimmt sich Sanderling für alle Sinfonien durchweg viel mehr Zeit (Ossonce: 141', Plasson: 147'). Das bekommt nun freilich nicht allen Werken gleich gut. Zwar kann sich der Klang immer entfalten, können die Violinen knifflige Passagen stets frei ausspielen (die bei Ossonce mitunter flüchtig und gepfuscht wirken). Andererseits wirkt der Kopfsatz der Ersten hier geradezu teutonisch. Der subtile Lyrismus bei Plasson und auch das unterschwellige Brodeln bei Ossonce sind Magnards Erstling doch angemessener. Auch das Scherzo der Ersten wirkt bei Sanderling flügellahm und trocken, wo Ossonce zu irisierendem Zwielicht, Plasson zu bedrohlichem Drängen findet. Auch das Finale der Ersten verliert bei Sanderling bei aller Detailarbeit viel von seinem "molto energico". Gerade in den Passagen also, die ein flüssiges Vorantreiben erfordern, bremst Sanderling. Nicht immer gelingt es ihm, die Innenspannung zu halten, und oft gehen Charme und Esprit der Musik verloren. Immerhin ist Sanderling konsequent in seinem Ansatz, der am besten noch der Dritten und Vierten bekommt: Sie gewinnen geradezu Brucknersche Monumentalität. Im Finale der Vierten geht Sanderlings Konzept wohl am besten auf – trotz des breiten Tempos verliert der Satz durch seine unbeirrbare Artikulation nichts an Energie (vgl. etwa das Fugenthema, Tr. 4, 2'12). Auch in den übrigen Sinfonien gibt es berückende Passagen, wenn etwa Sanderling durch eine größere Weite des Klangs geradezu in neue Welten eintaucht – so beispielhaft im Kopfsatz der Zweiten zu Beginn des anrührenden zweiten Themas (Tr. 1, 2'45). Überhaupt ist Sanderling ein Meister subtil ausgehörter Übergänge. Es gibt bei ihm nur selten drastische Kontraste, was seiner Interpretations-Kunst eine sehr eigene Note verleiht. Sanderlings Interpretationen bieten bei allen Wünschen im Detail doch eine hochwillkommene, sehr persönliche Alternative zu Ossonce und Plasson. Hoffentlich nimmt Sanderling auch noch die kleineren Orchesterwerke auf. Dann hätte Booklet-Autor Julius Wender auch noch einmal Gelegenheit, den Namen von Magnards Oper richtig zu schreiben, die "Guercoeur" und nicht (wie hier immer) "Guervour" heißt... Der Gesamtklang ist warm und direkt, wenn auch die Perspektive eher in die Breite als die Tiefe zielt.
Dr. Benjamin G. Cohrs [01.06.2000]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
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CD/SACD 1 | ||
Albéric Magnard | ||
1 | Sinfonie Nr. 1 c-Moll op. 4 | |
2 | Sinfonie Nr. 3 b-Moll op. 11 |