Günter Raphael
Symphonie Nr. 1 A-Moll op. 16
ORF Radio-Symphonieorchester Wien • Fabian Enders

Prospero Classical PROSP0118
1 CD • 66min • 2024
20.06.2025
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Der in Berlin geborene Günter Raphael (1903–1960) begann mit 9 Jahren zu komponieren und studierte zunächst in seiner Heimatstadt Klavier, Orgel und Dirigieren. 1925 erhielt er durch Vermittlung des Thomaskantors Karl Straube, der ihn später auch nach Leipzig holte, privaten Kompositionsunterricht bei Arnold Mendelssohn. Kein Geringerer als Wilhelm Furtwängler dirigierte 1926 die Uraufführung von Raphaels 1. Symphonie im Leipziger Gewandhaus und setzte große Hoffnungen in das außerordentliche Talent. Weil der Vater jüdischer Abstammung war, erhielt der Komponist jedoch 1939 Berufsverbot und entging nur mit Glück der Deportation. Nach dem Krieg unterrichtete Raphael, der neben einer Fülle geistlicher Chorwerke und Kammermusik auch fünf Symphonien schrieb, an den Konservatorien in Duisburg und Mainz, ab 1957 an der Kölner Musikhochschule. Das Schicksal während der Nazizeit teilt Raphael freilich mit zahlreichen anderen Kollegen. Dass er nach dem frühen Tod bald in Vergessenheit geriet, liegt eher an seinem musikalischen Stil: bei den Symphonien beginnend als Bruckner- bzw. Mahler-Nachfolger bis hin zu einer gemäßigt-modernen Schreibweise, die nach 1950 in Deutschland wenig zählte.
Raphaels 1. Symphonie: Monumentalwerk eines 23-Jährigen
Hatte vor gut 15 Jahren cpo mit Unterstützung der nach Raphaels Tochter benannten Stiftung die Symphonien Nr. 2-5 herausgebracht, – teils in älteren Rundfunkaufnahmen – fehlte bis heute sein monumentaler Erstling, der nun mit dem ORF Radio-Symphonieorchester Wien unter Fabian Enders erstmals auf CD erhältlich ist. Das 66-minütige Stück mit verbundenen Mittelsätzen bildet so drei fast gleich lange Blöcke. Die flexibel eingesetzte Hauptzelle des Kopfsatzes erinnert rhythmisch teils an die Bassbewegungen des Beginns von Mahlers Auferstehungssymphonie, die musikalische Entwicklung noch eher an Bruckner, jedoch mit Brüchen und einem lakonischen Schluss, der zu einer unmittelbaren Weiterführung drängt. Den langsamen Satz beschreibt Enders treffend als „Pastorale in Trümmern“, das Scherzo erscheint unbekümmert, aber rhythmisch einfallsreich. Das Finale ist ein großer Wurf, immer noch recht rückwärtsgewandt, aber mit emotionaler und orchestraler Durchschlagskraft, die etwa dem reinen Epigonentum der Symphonien Wilhelm Furtwänglers überlegen ist.
Beachtenswerte Repertoirelücke
Fabian Enders gelingt es, diesen dicken Schinken so zu gestalten, dass der Hörer – trotz beabsichtigter dekonstruktivistischer Elemente – in allen Sätzen eine zwingende Entwicklung erleben kann. Die musikalischen Spannungsbögen klingen so wirklich erfüllt, nicht nur gewollt – und das ORF-Orchester scheint hier wirklich mitzugehen. Die Durchsichtigkeit der über Strecken eigenwilligen kontrapunktischen Schreibweise Raphaels ist stets überzeugend realisiert, unterstützt durch adäquate, auch dynamisch gut abgemischte Aufnahmetechnik. Leider fehlen dem Stück noch die grotesken, Schostakowitsch-mäßigen Momente mehrerer späterer Gattungsbeiträge Raphaels. Jedenfalls wird hier eine erstaunliche Repertoirelücke auf Tonträgern endlich geschlossen, ohne dass man echte Chancen erwarten dürfte, diese ausladende Symphonie nun regelmäßig in den Konzertsälen zu hören – umso mehr eine lohnenswerte Erfahrung.
Martin Blaumeiser [20.06.2025]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
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CD/SACD 1 | ||
Günter Raphael | ||
1 | Sinfonie Nr. 1 a-Moll op. 16 | 01:05:59 |
Interpreten der Einspielung
- ORF Radio-Symphonieorchester Wien (Orchester)
- Fabian Enders (Dirigent)