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Besprechung CD

Portraits of Bowen

24 Preludes in all major and minor keys
Nuron Mukumi

Prospero Classical PROSP0106

1 CD • 71min • 2024

21.12.2024

Künstlerische Qualität:
Künstlerische Qualität: 10
Klangqualität:
Klangqualität: 10
Gesamteindruck:
Gesamteindruck: 10

Klassik Heute
Empfehlung

Die starke Beachtung, die das Schaffen des britischen Komponisten York Bowen seit einigen Jahren wieder erfährt, gründet sich nicht zum geringsten Teil auf sein umfangreiches Œuvre für Klavier. Unter den entsprechenden Werken haben namentlich die 24 Präludien op. 102 starken Anklang gefunden, die mehrfach ganz oder auszugsweise auf CD eingespielt worden sind. Die Gesamtaufnahme, die der junge deutsch-usbekische Pianist Nuron Mukumi bei Prospero vorgelegt hat, ist (wenn ich keine übersehen habe) bereits die vierte ihrer Art.

Ein europäischer Gentleman

Zwar kann man Bowen, der auch ein angesehener Pianist war, keineswegs einen erfolglosen Künstler nennen – seine Kompositionen wurden gedruckt, von berühmten Musikern aufgeführt, im Rundfunk gesendet, kein Geringerer als Camille Saint-Saëns bescheinigte ihm, „der beste englische Komponist“ zu sein –, doch spürte er in seinen späten Lebensjahren, nach dem Zweiten Weltkrieg, deutlich, dass das Interesse an seiner Musik zurückging. An der Qualität der Werke kann das kaum gelegen haben. Eher dürften die Gründe darin zu suchen sein, dass Bowen weder die modernistischen Tendenzen der Zwischenkriegszeit rezipierte, noch sich einer der spezifisch britischen Strömungen jener Jahre (Folklorebewegung, Neotudorismus) anschloss. Wenn man etwas in Bowens Stil als „englisch“ bezeichnen kann, so auf jeden Fall die immer vornehme Haltung, die durchaus das Etikett „gentlemanlike“ verdient. Aber wie der Gentleman keine auf England begrenzte Erscheinung ist, so steht Bowens Musik im Zeichen einer länderübergreifenden europäischen Spätromantik. Man hat ihn nicht zu Unrecht mit Rachmaninoff verglichen, und auch die französische Musik des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts hat in seinen Werken ihre Spuren hinterlassen.

Meister der Kurzgeschichte

Dass sich das Interesse an Bowens Klaviermusik gerade auf die 24 Präludien op. 102 konzentriert, verwundert nicht, ist diese Sammlung doch eine veritable Schatzkiste für Pianisten. Bowen konnte wunderbar für Klavier schreiben: virtuos „pianistisch“, volltönend-orchestral, kammermusikalisch dezent... Donald Toveys Wort über Chopin, er nutze die Möglichkeiten des Klaviers wie ein großer Dichter diejenigen der Sprache, ist auch bei ihm wohl am Platze! In den Präludien zeigt er sich zudem als Meister der musikalischen Kurzgeschichte. Nur wenige dieser Stücke dauern länger als drei Minuten, aber Nuron Mukumi liegt völlig richtig, wenn er im Beiheft schreibt, dass sie „durch ihre Dichte und Ausdrucksstärke viel ausgedehnter“ wirken. Dazu trägt vor allem die ungemein abwechslungsreiche Harmonik bei, mit der Bowen seine Einfälle veredelt. Durch chromatische Stimmführungen erreicht er teils grelle Zuspitzungen (D-Dur, E-Dur), teils erzeugt er ein geheimnisvolles Halbdunkel, in dem die Konturen verschwimmen (F-Dur, As-Dur). Es gibt wehmütige Nachtstücke (es-Moll, As-Dur), launische Capricen (e-Moll, f-Moll), sanft perlende Wasserspiele (C-Dur, Des-Dur), polternde Scherzi (f-Moll, b-Moll)... Man kann das Opus an jeder Stelle aufschlagen und hat ein Meisterwerk vor sich. Analog zum ersten Band von Bachs Wohltemperiertem Clavier gestaltet Bowen das h-Moll-Präludium als monumentales Schlussstück, das in seiner Ausdehnung (5 Minuten) alle anderen deutlich übertrifft: ein grollend aus dunkler Tiefe aufsteigendes De Profundis. Gewissermaßen als Zugabe präsentiert Mukumi noch drei weitere Miniaturen Bowens.

Sorgfalt und Zuneigung

Unter allen Aufnahmen, die es von Bowens op. 102 gibt, ist Mukumis Einspielung mit 55 Minuten die längste. Er lässt sich Zeit, versenkt sich hingebungsvoll in die Musik und gibt jedem einzelnen Stück den Raum zu atmen. Seine Tempi sind fest, aber nicht starr, die Rubati geschmeidig, sodass nie der Zusammenhang der musikalischen Handlung verloren geht. Auch versteht er es, dem tänzerischen Schwung Genüge zu tun, der unterschwellig zahlreiche der Stücke durchzieht (Bowen hat hörbar eine Vorliebe für Walzeridiome). Bowens differenzierte Klanggestaltung, sein feines „Instrumentieren“ auf der Klaviatur, kommt unter Mukumis Händen wunderbar zur Geltung. Bei der Aufnahme wurde, um den verschiedenen Charakteren der Werke besser Rechnung zu tragen, ein Klavier mit zwei austauschbaren Mechaniken verwendet – ein weiteres Zeichen der Sorgfalt und Zuneigung, mit der diese Produktion zustande kam.

An dieser CD stimmt einfach alles. Wir erleben mit Nuron Mukumi einen vortrefflichen Musiker im Dienste eines lange unterschätzten Meisters, dem mit der vorliegenden Einspielung hoffentlich viele Freunde gewonnen werden.

Norbert Florian Schuck [21.12.2024]

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Komponisten und Werke der Einspielung

Tr.Komponist/Werkhh:mm:ss
CD/SACD 1
York Bowen
1Prelude C-Dur op. 102 Nr. 1 00:01:22
2Prelude c-Moll op. 102 Nr. 2 00:03:02
3Prelude Des-Dur op. 102 Nr. 3 00:02:25
4Prelude cis-Moll op. 102 Nr. 4 00:01:14
5Prelude D-Dur op. 102 Nr. 5 00:01:35
6Prelude d-Moll op. 102 Nr. 6 00:03:31
7Prelude Es-Dur op. 102 Nr. 7 00:02:25
8Prelude es-Moll op. 102 Nr. 8 00:02:33
9Prelude E-Dur op. 102 Nr. 9 00:01:47
10Prelude e-Moll op. 102 Nr. 10 00:01:48
11Prelude F-Dur op. 102 Nr. 11 00:03:11
12Prelude f-Moll op. 102 Nr. 12 00:01:37
13Prelude Ges-Dur op. 102 Nr. 13 00:03:00
14Prelude fis-Moll op. 102 Nr. 14 00:01:14
15Prelude G-Dur op. 102 Nr. 15 00:01:50
16Prelude g-Moll op. 102 Nr. 16 00:02:56
17Prelude As-Dur op. 102 Nr. 17 00:02:17
18Prelude gis-Moll op. 102 Nr. 18 00:02:17
19Prelude A-Dur op. 102 Nr. 19 00:02:16
20Prelude a-Moll op. 102 Nr. 20 00:01:21
21Prelude B-Dur op. 102 Nr. 21 00:02:33
22Prelude b-Moll op. 102 Nr. 22 00:01:26
23Prelude H-Dur op. 102 Nr. 23 00:02:12
24Prelude h-Moll op. 102 Nr. 24 00:05:19
25Rêverie op. 86 00:05:34
26Zazra 00:03:44
27Nocturne op. 14 Nr. 2 (aus: Miniature Suite for the Pianoforte) 00:05:45

Interpreten der Einspielung

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