Friedrich Gernsheim
String Quartets Vol. 2
cpo 555 468-2
1 CD • 60min • 2020, 2021
27.11.2023
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Klassik Heute
Empfehlung
Das Diogenes Quartett, das mich bereits durch seinen exzellenten Fesca-Zyklus beeindruckte, widmet sich in Vol. 2 seiner Aufnahme der Streichquartette von Friedrich Gernsheim (1839-1916) dessen letzten beiden wunderbaren Kammermusikkompositionen, dem 5. Streichquartett (1911) und dem 2. Streichquintett (1915) und erweitert so die Diskographie dieses lange unterschätzten Spätromantikers, dessen Werke zunehmend an Beachtung gewinnen.
Wunderkind aus Worms
Musikhistoriker rechnen Friedrich Gernsheim, dieses Wunderkind aus alteingesessener Wormser jüdischer Familie, das sein Debüt mit 11 Jahren als Komponist, Konzertpianist und Geiger gab – wie auch Heinrich v. Herzogenberg – unter die Brahms-Epigonen. Das ist falsch! Gernsheim und Johannes Brahms begannen ihr Komponieren im Geist Schumanns und Mendelssohns. Daher kamen sie zu ähnlichen Problemlösungen. Gernsheim, der auch als Chor- und Orchesterdirigent renommiert war, gehörte zu den frühesten Propagandisten des Deutschen Requiems des Älteren, woraus sich eine lebenslange Freundschaft ergab, bei der es nur natürlich war – da beide auch einige Jahre gleichzeitig in Wien lebten –, dass man musikalische und pianistische Problemstellungen miteinander diskutierte. Denn immerhin hatte Gernsheim in Leipzig bei Ignaz Moscheles (Klavier), Ferdinand David (Violine), für den das Mendelssohn-Konzert entstand, und Julius Rietz/Moritz Hauptmann (Komposition) studiert.
Verblüffende Steigerungen und Stimmungswechsel
Gernsheims späte Streicherkammermusik steht mit ihren Luftpausen zwischen Abschnitten, ihrer virtuos gehandhabten, dabei dezent angebrachten Kontrapunktik, und ihrer Chromatik eher dem späten Anton Bruckner nahe. Auch er versteht es aus einer verschwenderischen Anzahl kleiner Motivzellen Verblüffendes wie heftige Steigerungen und schnellste Stimmungswechsel zu entwickeln. Es sind Erzählungen, die zwar von der Strenge der klassischen viersätzigen Form gerade noch zusammengehalten werden, dem Hörer jedoch jederzeit Überraschungen bieten. Dabei ist der Gedankenfluss stets natürlich, nichts wirkt – wie häufig bei Max Reger – willkürlich oder gegen den Strich gebürstet. Die teilweise aberwitzigen Modulationen tragen und färben das ausgesprochen sangliche Motivmaterial auf das schönste. Sowohl das Quartett wie auch das Quintett – in Schubert-Besetzung mit 2 Celli – beginnen bewusst lieblich und harmlos, um in der weiteren Entwicklung Krallen und Pranken auszufahren. Lassen Sie sich also überraschen!
Kongeniale Interpretation
Das Diogenes-Quartett zeigt sich in dieser Aufnahme in absoluter Hochform. Jede Phrase wird mit Bedacht beleuchtet und ihrem Höhepunkt zugeführt. Die technisch in beiden Werken durchaus höchst anspruchsvollen Partien (chromatische Läufe im pp Track 2) werden mit absoluter, fast lässiger Sicherheit dargeboten. Das fein dosierte, untereinander präzise abgestimmte Vibrato, das bei aller Intensität der Gestaltung nie zum Wimmern wird, obwohl das tieftraurige Adagio des Quintetts dazu verleiten könnte, ermöglicht ein wirkliches Unisono, das wie von einem einzigen Instrument dargeboten klingt. Cellist Alexander Hülshoff – ebenfalls ein überzeugter „Gernsheimer“, der bereits die Cello-Sonaten vorbildlich einspielte – fügt sich in das Geschehen tonlich optimal ein.
Christian Starke, der auch die Produktionsleitung hatte, steuert einen informativen Booklet Text bei. Die Aufnahme gelang ihm ebenfalls.
Fazit: Wiederentdeckung zweier wunderbarer, ungemein facettenreicher Werke der Spätromantik. Klar empfohlen.
Thomas Baack [27.11.2023]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
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CD/SACD 1 | ||
Friedrich Gernsheim | ||
1 | Streichquartett Nr. 5 A-Dur op. 83 | 00:29:08 |
5 | Streichquintett Es-Dur op. 89 | 00:31:05 |
Interpreten der Einspielung
- Diogenes Quartett (Streichquartett)