Kosmos und Fragment
Maria Rosa Günter
Genuin GEN 23833
1 CD • 77min • 2022
02.09.2023
Künstlerische Qualität:
Klangqualität:
Gesamteindruck:
Warum Marie Rosa Günter ihre aktuelle CD „Kosmos und Fragment“ betitelt, erschließt sich mir nicht so ganz. Zwar umfasst Beethovens Hammerklaviersonate op. 106 wahrhaft einen musikalischen Kosmos, aber weder bei diesem Werk noch bei den sechs Bagatellen op. 126, den Variationen op. 27 von Anton Webern und den Variationen über Jerusalem von Ulrich Kallmeyer handelt es sich um Fragmente; es sind viel mehr in sich geschlossene Werke. Die 1991 in Braunschweig geborene Pianistin spricht im Beiheft-Text sehr offen über ihre Entscheidung, sich an Beethovens Hammerklaviersonate zu wagen. Doch wer wagt, gewinnt: Ihre Interpretation ist aus einem Guss, genau dem verzwickten Notenbild folgend und doch Atem holend für die geistige und gefühlsmäßige Tiefe des Werks. Wobei es nicht darauf ankommt, Beethovens aberwitzige Metronomzahl 138 für den Kopfsatz zu erfüllen, sondern vielmehr darum, dem Sinn des Ganzen nachzugehen, und dies leistet Marie Rosa Günter mit variablem Anschlag, federnden Tempi und Gespür für die Dimensionen dieses „Kosmos“.
Beethovens späte Bagatellen als Ergänzung
Ludwig van Beethovens sechs Jahre später entstandene Bagatellen op. 126 ergänzen den Blick auf das Spätwerk des Meisters, wenn bei aller Kürze der experimentelle Charakter jedes einzelnen Stücks deutlich wird, das Suchen nach Neuland trotz der scheinbar alltäglichen Gestik. Auch hier findet die Pianistin den rechten Ton zwischen Angriffslust und Nachdenklichkeit.
Zwölftonkonstruktion mit Ausdruck
Anton Weberns Variationen op. 27 gelten als Musterbeispiele durchstrukturierter Zwölftonmusik. Marie Rosa Günter tut recht daran, die Vortragsbezeichnungen des Komponisten zu beachten, die zeigen, dass bei allem Konstruktivismus starke Ausdruckswerte angestrebt sind, bis hin zu Tempomodifikationen und ausgiebigem Pedalgebrauch. So entsteht bei der dieser Aufnahme ein überzeugendes Bild der drei Sätze, die als „Variationen“ in einem ganz neuen Stil daherkommen.
Eine gelungene moderne Zugabe
Eher der klassischen Form folgen die sechs Variationen über Charles Hubert Hastings Hymne Jerusalem, komponiert 2011 von dem Braunschweiger Ulrich Kallmeyer. Seine originellen Variationen gipfeln in der mit Aplomb gespielten Hymne, nicht ohne einen persönlichen Schnörkel als gewitzten Ausklang anzufügen.
Das Booklet überrascht durch die Überlegungen und Einsichten der Pianistin, doch hätte man sich noch einige genauere analytische Worte zu den vier Opera gewünscht.
Prof. Klaus Trapp [02.09.2023]
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Komponisten und Werke der Einspielung
Tr. | Komponist/Werk | hh:mm:ss |
---|---|---|
CD/SACD 1 | ||
Ludwig van Beethoven | ||
1 | Klaviersonate Nr. 29 B-Dur op. 106 (Hammerklaviersonate) | 00:42:10 |
Anton Webern | ||
5 | Variationen op. 27 für Klavier | 00:06:17 |
Ludwig van Beethoven | ||
8 | Bagatelle op. 126 Nr. 1 – Andante con moto cantabile e compiacevole | 00:02:59 |
9 | Bagatelle op. 126 Nr. 2 – Allegro | 00:02:53 |
10 | Bagatelle op. 126 Nr. 3 – Andante cantabile e grazioso | 00:02:34 |
11 | Bagatelle op. 126 Nr. 4 – Presto | 00:03:55 |
12 | Bagatelle op. 126 Nr. 5 – Quasi Allegretto | 00:02:14 |
13 | Bagatelle op. 126 Nr. 6 – Presto - Andante amabile e con moto | 00:04:43 |
Ulrich Kallmeyer | ||
14 | Sechs Variationen (über Charles Hubert Hastings Parrys Hymne Jerusalem) | 00:08:49 |
Interpreten der Einspielung
- Marie Rosa Günter (Klavier)